Regula Stämpfli / Mittwoch, 18. Februar 2015
Die SRF-Talksendung «Schawinski» von Mitte Dezember hat nach Ansicht von SRG-Ombudsmann Achille Casanova das «Sachgerechtigkeitsgebot» gleich mehrfach verletzt. Ein Nachdenken darüber, wie wichtig die Ombudsstelle, der schweizerische Presserat und der sorgfältige Umgang mit Medienrecht sind.
Geht es um die politischen Herausforderungen der Zeitgeschichte, wird in den Diskussionen am Stammtisch, während Konferenzen und in Uniseminarien immer wieder die «Medienmacht» und deren Missbrauch thematisiert. Sehr selten findet das Argument, das Publikum sei eigentlich ein guter Gradmesser dessen, was «geht» oder völlig daneben sei, ins Feld geführt. Am Beispiel der Beanstandungen gegen das Gespräch zwischen Roger Schawinski und Andreas Thiel kann gezeigt werden, dass das Publikum bezüglich seiner Medienkompetenz nicht unterschätzt werden sollte.
«Schawinski war völlig im Unrecht», so lautete das Publikumsurteil schon am nächsten Tag. Zwar bekam auch Andreas Thiel - vor allem von Journalisten, die es sich nie mit dem mächtigsten Medienmann in der Schweiz verderben möchten - sein Fett weg. Doch in der Beschwerdeflut gegen die Sendung «Schawinski» gingen die 16, die Andreas Thiel betraffen, fast unter. Einzig dem Vorwurf der «bedenklichen Nähe zum Antisemitismus» wird sich Thiel wohl noch stellen müssen.
Über 186 Beanstandungen gegen Roger Schawinski gingen bei der Ombudsstelle der SRG ein (Medienzyniker behaupten, die Beschwerden stammen von all den Zuschauern, die Schawinski überhaupt noch gucken...). Dies ist ein erstmaliger Höhepunkt in der Geschichte der Ombudsstelle. Der umsichtige Medienmann Achille Casanova hatte dann die undankbare Aufgabe, sich über Weihnachten und Neujahr eingehend mit den Beschwerden und der Sendung auseinanderzusetzen.
Die Kritiker bezeichneten die Gesprächsführung als «mangelhaft, provozierend, unhöflich, respektlos oder beleidigend». Auch Achille Casanova stellt ernüchternd fest: «Sie haben die Sendung selber gesehen. Ich brauche deshalb keine weiteren Beispiele dieses unwürdigen Hahnenkampfes zwischen zwei Personen zu erwähnen, die sich nicht mögen und nicht verstehen wollten.»
Achille Casanova stellt in einem bemerkenswert scharfen Ton die Verletzung der «Sachgerechtigkeit», Art. 4, Absatz 2 RTVG fest. Im Klartext bedeutet dies, dass die Sendung «Schawinski», die unter die Kategorie «Sendung mit Informationsgehalt» fällt, das Publikum nicht in die Lage versetzt hat, sich aufgrund der vermittelten Fakten und Ansichten eine eigene Meinung zu den behandelten Themen zu bilden. Umstrittene Aussagen waren also nicht als solche erkennbar. Schawinski hatte Thiel aufgrund eines, völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitates, als Rassisten «entlarvt». Dem Publikum wurde der Eindruck vermittelt, Thiel würde die Muslime als «zwischen Neandertaler und Homo Sapiens stecken geblieben» bezeichnen, was er nachweislich nicht getan hat. Diese irreführende Wiedergabe eines langen Interviews von Thiel mit der Berner Zeitung war mit ein Grund, weshalb dann das Gespräch von Roger Schawinski als eigentliches Tribunal gegen Thiel geführt wurde.
Abschliessend stellt Achille Casanova fest: «Es liegt somit in der alleinigen Zuständigkeit der Verantwortlichen von SRF, zu entscheiden, ob die Sendung «Schawinski» weiterhin produziert und ausgestrahlt wird. Und dies ist gut so: Denn die Freiheit der Medien, vorliegend des Fernsehens, ist ein derart wichtiges Gut, das durch eine misslungene Sendung nicht in Frage gestellt werden darf.»
Der Schlussbericht von Achille Casanova war also mehr als nur ein «Klaps» auf den Hintern von Schawinski, sondern erinnerte wohl eher an das, was auch der Papst für kleine Kinder empfiehlt. Roger Schawinski hat ja auch schon vor dem Schlussbericht von Achille Casanova wie ein Kind reagiert. Indem er sich entschuldigte und versprach, künftig keine derart kontroverse Gäste mehr einzuladen.
Die grosse Arbeit von Achille Casanova quittierte das Schweizer Fernsehen übrigens mit einer trockenen «Zur-Kenntnisnahme.» Gleichzeitig widerspricht SRF dem Ombudsmann bezüglich Verletzung der Sachgerechtigkeit durch das völlig aus dem Zusammenhang gerissene Zitat. SRF wiederholt Schawinskis Vorwurf an Thiel, er sei Rassist, siehe (http://www.srf.ch/news/schweiz/ombudsmann-ruegt-srf-wegen-thiel-gespraech): «Die Aussage habe aber nur dahingehend verstanden werden können, dass sie sich auf die Muslime bezieht - nicht nur auf deren Witze. ´Dies ergibt sich erst recht aus dem Kontext des Interviews und der darin von Andreas Thiel zum Ausdruck gebrachten Haltung über Muslime (´Die sind alle gehirngewaschen und haben einen an der Waffel´)» hält SRF dazu fest.
Soviel zum Einfluss des Ombudsmann, der einen Klaps verteilen kann, der jedoch von SRF sofort zum Anlass für eine heftige Prügelei gegen Andreas Thiel verwendet wird. Denn falls Andreas Thiel sich gegenüber muslimischen Menschen wie im SRF-Zitat geäussert hat, dann wäre dies ein Fall zur Untersuchung der Antirassismus-Strafnorm. Falls Thiel dies nicht getan hat, müsste er eigentlich erneut Beschwerde oder sogar Klage wegen Verleumdung gegen diese Pressecommunique einreichen.
Ziemlich absurd ist, dass SRF den Schlussbericht der Ombudsstelle nur zur Kenntnis zu nehmen braucht und darüber hinaus das letzte Wort betreffend der Ombudsstelle hat, nämlich indem SRF dieser vehement widerspricht. Selten hat sich die Arroganz der Medienmacht so offensichtlich manifestiert. Fehler gemacht? Ja, sorry, aber der Andere ist eigentlich schuld. Noch spannender ist indessen, dass der interessante Schlussbericht inklusive Stellungnahme SRF in den Medien nur als Communiqué abgedruckt wurde. Weder fand eine grundsätzliche Diskussion über Formate wie «Schawinski» statt, noch eine Lehre bezüglich der künftigen Wahl der Gäste, die je schriller je eher in die öffentlich-rechtlichen Talksstudios eingeladen werden.
Andererseits müssen wir wie Helmut Schmidt feststellen: «Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, sondern er hat zu existieren.» Angesichts der umsichtigen Arbeit der Ombudsstelle der SRG, selbst wenn sie vor allem Arbeit hat, die keinerlei medienpolitische oder -rechtliche Konsequenzen aufzeigen, ist es einfach mal entscheidend, das es sie gibt. Dies ist übrigens mehr als man für digitale Medienkonzerne behaupten könnte.
Um auf unseren Einstieg zurückzukommen: Unterschätze nie das Publikum! Denn auch wenn die missratene Sendung «Schawinski gegen Thiel» keinerlei medienpolitische Folgen zeigt, kann auch in Zukunft darauf vertraut werden, dass sich die Menschen, wenn sie vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen derart in ihrer Mündigkeit und politischer Sensibilität verletzt werden, reagieren. Und sei dies in völlig anderen Formen als dies dem Staatsfernsehen recht sein kann, beispielsweise das nächste mal an der Urne, wo alle die Möglichkeit haben werden, um über die Einführung einer neuen Mediensteuer abzustimmen.