Mittels einem neuartigen bildgebenden Verfahren konnten sie nachweisen, dass bereits die versteinerten Urahnen der bloss millimetergrossen Wassertiere bis zu fünf Zentimeter grosse Spermien besassen.
Anders als die bei den meisten Arten verbreitete Praxis einer hohen Spermienzahl hat bei den Ostrakoden - so die lateinische Bezeichnung der Tiergruppe - somit schon seit langer Zeit die Selektion nach Grösse Erfolg.
Grosse Spermazellen keine Seltenheit
Grosse Spermazellen sind in der Tierwelt keine Seltenheit, denn auch bei Motten-, Fliegen- und Froscharten treten sie vereinzelt auf. Bei den Ostrakoden verfügt jedoch die gesamte Klasse über dieses Merkmal, ausserdem besitzen ihre Zellen äusserst robuste anorganische Hüllen, die eine Fossilierung und Auffindung so viele Jahre danach erst ermöglichte.
Erstaunlich ist jedoch die lange Kontinuität der Grösse, die in dieser Forschung deutlich wurde. «Übergrosse Spermien bilden sowohl für Männchen als auch für Weibchen einen immensen Aufwand, weswegen ihre evolutionäre Verkleinerung nur logisch wäre. Man weiss nun aber, dass Süsswasser-Muschelkrebse schon erstaunlich lange über diese Zellform verfügen, nämlich mindestens 100 Mio. Jahre. Das lässt auf den Erfolg dieser Strategie schliessen», so Forschungsleiterin Renate Matzke-Karasz.
Doppelte Geschlechtsorgane
Wie gross der Aufwand dieser Riesenzellen für die Körper der Tierchen tatsächlich sind, zeigen Details ihres Körperbaus. Männchen wie auch Weibchen haben bei den Ostrakoden doppelte Geschlechtsorgane auf beiden Körperseiten.
Die Männchen produzieren die Spermazellen in vier Hodenschläuchen, die in über den kompletten Körper gewickelte Samenschläuche münden. «Kurz vor dem doppelten Penis sind diese Taschen mit einem Chitinorgan verstärkt, das sogleich als Spermapumpe wirkt», erklärt die Forscherin.
Während der Kopulation werden rund 70 dieser Zellen pro Körperseite in entsprechend lange Gänge im Weibchen gepresst und an deren Ende in Achterform aufgewickelt.



Produktionsorgane für gigantische Samenzellen gab es bereits vor 100 Mio. Jahren. /


Hier warten sie auf ihren Auftritt bei der Befruchtung der Eier.
Häufige Begattung mit wechselnden Partnern
Die Ostrakoden-Weibchen begatten sich häufig und mit wechselnden Partnern. «Es scheint, als ob die zuletzt ankommenden Spermien befruchtet werden, weshalb jedes Männchen der letzte sein will», so Matzke-Karasz. Der evolutionäre Erfolg der grossen Zellen lege nahe, dass die Weibchen einen Mechanismus zur Auswahl besonders grosser Spermien besitzen.
Warum die Grösse jedoch ein Vorteil sei, weiss nicht einmal die Expertin sicher. «Eine Möglichkeit ist, dass der Zellinhalt der befruchteten Eizelle als Nahrung dient. Denkbar ist auch, dass die Riesenzelle ähnlich wie bei den Insekten ein Pfropf ist, der die weiblichen Gänge versiegelt und somit Spermien anderer Männchen nicht zum Zug kommen lässt.»
Neue Untersuchungstechnik Holotomografie
Die fossilen Muschelkrebse waren zugleich Demonstrationsobjekt für eine neue Untersuchungstechnik bei Fossilien, der Holotomografie. «Durch sie es möglich, auch sehr kleine Fossilien nicht-invasiv zu untersuchen. Dabei wurden mehrere 180-Grad-Röntgenbilder aus verschiedenen Abständen aufgenommen und in einem Grosscomputer berechnet.
Das Ergebnis ist eine dreidimensionale Rekonstruktion, die kleinste Schnitte durch das Fossil hochauflösend und kontrastreich zeigt», so Matzke-Karasz. Das Münchner Holotomografie-Gerät ist bisher das weltweit einzige seiner Art.