Peter Achten / Quelle: news.ch / Dienstag, 8. März 2011 / 09:38 h
Der Anlass: ein Internet-Aufruf zu einem «Jasmin(Moli Hua)-Spaziergang» in Peking und mehreren andern Städten. Die «Moli-Hua»-Aktivisten wollen so nahöstliche Verhältnisse kopieren. Ohne Erfolg. Kaum jemand ist dem Aufruf gefolgt. In Shanghai waren es zum Beispiel am Sonntag gerade einmal hundert Menschen.
«Sie haben den falschen Platz ausgewählt», urteilt an einer Presskonferenz selbstbewusst Wang Hui von der Medienstelle der Pekinger Stadtregierung über die Internet-Moli-Hua-Aktivisten. Er hat wohl recht. Die chinesischen Verhältnisse nämlich sind mit jenen im Nahen Osten nicht zu vergleichen. In China boomt die Wirtschaft, die Bevölkerung hat – wie der eben tagende Nationale Volkskongress zeigt – verschiedene Möglichkeiten, ihre Sorgen und Nöte auszudrücken. In der autoritären sozialistischen chinesischen Demokratie wird mittels repräsentativen Meinungsumfragen ermittelt, wo den Laobaixing – den Durchschnitts-Chinesen – der Schuh drückt.
Auch gibt es das, was man in der Schweiz wohl eine «breite Vernehmlassung» nennen würde. Derzeitige Hauptsorgen: die Inflation, teueres Wohnen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land sowie vor allem die weit verbreitete Korruption. Chinas Regierung unter dem Diktat der allmächtigen Kommunistischen Partei versucht deshalb, dem Volk das zu geben, was es will. Nämlich steigenden Wohlstand, Kampf gegen Korruption und dergleichen. Das ist das Zuckerbrot, sozusagen. Da jedoch nicht alle Probleme gleichzeitig gelöst werden können, greift die Pekinger Zentrale wie seit Jahren zur Peitsche. Das heisst, auch der kleinste Widerstand wird im Keime erstickt. Wie schon die Kaiser fürchten auch die roten Mandarine Luan, das Chaos, denn das Mandat des Himmels, die Macht, steht auf dem Spiel. Im letzten Jahr zum Beispiel ist es landesweit zu rund 100'000 kleineren und grösseren Zwischenfällen gekommen.
Der Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen. In der Mitte das Helden-Denkmal, im Hintergrund die «Grosse Halle des Volkes» wo der Nationale Volkskongress derzeit tagt. /


Wegen illegaler Landenteignung, Abbruch von Wohnungen mit zu wenig Entschädigung, dann immer und immer wieder Korruption. Bei manchen Demonstrationen gab es auch Tote und Verletzte. Die «Moli-Hua-Spaziergänge» sind unter diesem Gesichtspunkt kaum erwähnenswert.
Mit der Verschärfung des Arbeitsbedingungen für Ausland-Journalisten sind die «Spaziergänge» im Ausland erst zur grossen Nachricht geworden, zumindest jetzt, da der Nationale Volkskongress tagt (wie jedes Jahr unter extremen Sicherheitsvorkehrungen). Was Aussenminister Yang Jiechi dazu gebracht hat, Offensichtliches zu bestreiten, wird Geheimnis der KP bleiben. Yang sagte: «Es hat keinen Fall gegeben, wo chinesische Polizeibeamte ausländische Journalisten geschlagen haben». Doch viele, Ausländer wie Chinesen, haben es gesehen.
Korrespondenten, meinte Yang trocken, müssten sich in China an Gesetze und Vorschriften halten. Ja sicher. Die Gesetze sind klar, nicht aber die Vorschriften. Seit 2008, dem Olympia-Jahr nämlich, durften Journalisten ausser in Tibet und Xinjiang überall ohne Bewilligung ihrer Arbeit nachgehen. Es war allein das Einverständnis der jeweils Interviewten oder Fotografierten nötig. Jetzt plötzlich soll das nicht mehr gelten. Ohne Vorankündigung. In einem komplizierten bürokratischen Prozedere ist das Einverständnis der jeweils zuständigen Behörde notwendig. Einzelne Journalisten erhielten Belehrungen, sich von Orten, welche die Polizei bestimmt, fernzuhalten. Bei Nichtbeachtung wurde Haft, Entzug der Pressekarte und Ausweisung angedroht. In den letzten Tagen wurde ich auf offener Strasse drei Mal angehalten und kontrolliert. Höflich aber bestimmt. Andere Korrespondenten sprachen von «rabiater» bis «ruppiger» Behandlung.
Am ersten Wochenende der Beratungen des Nationalen Volkskongresses konzentrierte sich denn die Berichterstattung der Ausland-Korrespondenten anstatt aufs Wesentliche auf Moli Hua. War das die Absicht der Propaganda-Abteilung der Partei?