Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 22. August 2011 / 10:53 h
Das Essen auf dem Tisch (beziehungsweise jenes, dass auf dem Tisch sein sollte, aber nicht dort steht), ist etwas, dass für die meisten Menschen die höchste Priorität hat. Vielleicht nicht ganz begreiflich für Menschen, die,wenn sie Hunger haben, an 24 Stunden des Tages kurz mal in den nächsten Tankstellenshop düsen und sich ein Fertiggericht holen können.
Doch in einem Land wie China, in dem der Hunger erst in dieser Generation besiegt worden ist und die meisten Erwachsenen noch Erinnerungen an Hungerzeiten mit sich herum tragen, hat dieses Bewusstsein einen anderen Wert. Der staatliche Interventionismus hat hier offensichtlich in recht kurzer Zeit einen grossen Fortschritt gebracht und Fu-Yings Einwände sind daher nicht aus der Luft gegriffen.
Allerdings: die Hungerzeiten, an die sie erinnert, waren - genau so wie der Aufschwung, der aus diesen hinausführte - ein Resultat einer autokratischen Politik. Es lässt sich daher nur sagen, dass eine autoritär herbeigeführte Kehrtwende die autoritär herbeigeführten Fehlentwicklungen - inklusive Hungerkatastrophen - des Vorgängerregimes einigermassen korrigieren konnten. Die Verfehlungen von Mao Zedong auzuräumen hat China über 20 Jahre gekostet und in China wurde noch gehungert, während auf Taiwan längst die Industrialisierung einen gewissen Wohlstand gebracht hatte.
Eleanor Roosevelt mit der Menschenrechtserklärung: Schädlich für die Wirtschaft? /


Zudem verdankt China seinen schnellen Aufstieg vor allem jenen Ländern, denen das Reich der Mitte nun wirtschaftliches Versagen und Heuchelei vorwirft: Den westlichen Demokratien. Ohne das dort geschaffene Kapital in breiten Gesellschaftsschichten, welche einen Konsum der in China gefertigten Produkte möglich gemacht hätten, wäre der kometenhafte Aufstieg des Reichs der Mitte nicht zustande gekommen.
Lohndumping, Rohstoff- und Energiegewinnung ohne Rücksicht auf Verluste, eine Restriktive Importpolitik, systematischer Technologieklau und Missachtung von Patenten und die Währungspolitik trugen zum extrem schnellen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas bei, alles Faktoren, welche diese ökonomische Himmelfahrt mit erheblichen Hypotheken belastet hat.
Deshalb darf die Indignation der Vize-Aussenministerin durchaus hinterfragt werden. Wäre der Bürgerkrieg anders ausgegangen und wäre 1949 eine demokratische Regierung eingesetzt worden (wenn dies in der damaligen geopolitischen Situation möglich gewesen wäre), würde es China denn wirklich schlechter gehen als jetzt? Denn dies ist die echte Frage und nicht jene, dass der Westen seit zwanzig Jahren abgestiegen, und China aus dem maoistischen Loch raus gekommen ist.
Die eigentliche Krankheit des Westens ist seit Jahren denn auch die Ent-Demokratisierung und die Etablierung einer neuen Aristokratie und Unterklasse, zwischen denen die Mittelklasse zerquetscht wird, zusammen mit einer politischen Klientelkultur, die jedes Jahr Milliarden an Steuergeldern kostet und eine offen durch Parteispenden gelebte Korruption, während Bildung, Kreativität und Fortschritt leiden.
Die westlichen Demokratien bewegen sich im Schatten der Wirtschaftskrise schleichend von ihren Idealen und Wurzeln und dem weg, was sie gross gemacht haben, während die chinesische Führung alles tut, nicht an jenen Ort zu kommen, von dem der Westen her kommt.
Der Schluss, der aus dieser kurzen Betrachtung gezogen werden kann ist ebenso ernüchternd wie nicht überraschend: Politiker sind Heuchler, ganz egal woher sie kommen.