«Ich habe mich daran gewöhnt, wie es ist, fast an der Spitze zu stehen», sagte Herman Cain diese Woche. «Und durch die Schlagzeilen von heute erfahre ich nun, wie es sich anfühlt, wenn man tatsächlich die Nummer eins ist.»
Die Geschichte des früheren Präsidenten Bill Clinton, die Schlagzeilen um den ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds Dominique Strauss-Kahn oder auch George Clooneys neuer Film «The Ides of March/Tage des Verrats» zeigen es: Sexskandale sind Teil der amerikanischen Politikkultur.
Das einflussreiche Online-Magazin «Politico» berichtete diese Woche, Cain habe in den späten Neunzigern zwei Frauen sexuell belästigt. Diese Vorwürfe könnten ihn den Spitzenplatz in den nächsten Meinungsumfragen kosten. Dabei sahen einige in Cain bereits den aussichtsreichsten Kandidaten der Republikaner für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr.
Zu der Zeit, auf die sich die Vorwürfe beziehen, war Cain Vorsitzender der National Restaurant Association, einer Lobbyorganisation in Washington. «Politico» zufolge sollen die Frauen damals eine ansehnliche Abfindung erhalten haben. Im Gegenzug verliessen sie ihre Arbeitsstelle, liessen ihre Anschuldigungen fallen und verpflichteten sich, über die Sache Stillschweigen zu wahren.
Harmlose Begegnung
Cain sagte, er habe von einer der beiden Frauen bis zu dem Bericht dieser Woche noch nie etwas gehört. Bei der anderen könne er sich nur dunkel an eine harmlose Begegnung erinnern. Er erklärte: «Ich stand neben dieser Dame und habe zu ihr gesagt: Oh, Sie sind ja so gross wie meine Frau. Zur Verdeutlichung hielt ich dabei meine Hand unter mein Kinn, denn meine Frau ist ca. 1,50 m gross.
Aus der Traum? Herman Cain gerät durch die Sex-Vorwürfe zunehmend in Bedrängnis. /


Sie geht mir gerade bis zum Kinn und ich habe nur diesen Vergleich gezogen. Wir waren in meinem Büro, die Tür war sperrangelweit offen und draussen sass meine Sekretärin.»
Der Journalist Jonathan Martin schildert die Sache anders. «Mr. Cains Verhalten gegenüber zwei weiblichen Angestellten des Verbandes in den späten Neunzigern war wesentlich deutlicher. Es geht um sexuell anzügliche Bemerkungen, aber auch um Körperkontakt.» Bislang haben die beiden Frauen ihr Versprechen gehalten und sich nicht öffentlich zu der Angelegenheit geäussert. Während ich diese Kolumne schreibe, kennt man noch nicht einmal ihre Namen. Die Anschuldigungen bleiben also vage, die Damen, die sie einst erhoben, unbekannt, und die Auswirkungen kaum vorhersehbar.
Gut möglich ist allerdings, dass bald weitere Vorwürfe gegen andere Kandidaten laut werden. Der Präsidentschaftswahlkampf nimmt gerade an Fahrt auf. Die Zeit ist reif für Skandale.
Jonathan Mann - POLITICAL MANN
Dieser Text stammt von Jonathan Mann, Moderator und Journalist bei CNN International. Er moderiert das wöchentliche Politmagazin «Political Mann» auf CNN International. Der Text steht in der Schweiz exklusiv für news.ch zur Verfügung.