Alarmstufe orange

In der aufgewühlten «Oranje-Legion» sind die Irritationen erheblich. Die nächste Partie gegen Deutschland erklärten die holländischen Beteiligten unisono zum vorgezogenen Endspiel. Verliert der «Koninklijke Nederlandse Voetbal Bond» (KNVB) gegen die DFB-Auswahl am 13. Juni, ist das schlimmste Szenario kaum mehr abzuwenden: das erste Scheitern in der Vorrunde seit 1980. 6,8 Millionen verfolgten die Live-Übertragung. Das vollmundig prognostizierte Spektakel blieb aus. «Voetbal Totaal» endete zum Ärger der TV-Konsumenten mit einem Totalschaden. Der missratene Auftakt wird nicht als Quotenhit in Erinnerung bleiben. Holland stürmte zwar ununterbrochen an, lösungsorientiert wirkte die komplizierte Elftal allerdings nicht. Irgendwie passte der uninspirierte Auftritt so ganz und gar nicht zu einem Titelanwärter.

Keine stichhaltigen Analysen

Arjen Robben fand den Ausweg aus der privaten Krise nicht. Schon nach den ersten 90 Minuten kramten deshalb nicht nur die holländischen Kommentatoren die «Bayern-These» hervor. Sie fragen sich bereits, ob Robben wohl das Münchner Pech importiert habe? Das Spektrum möglicher Problemfälle wurde auch auf Klaas-Jan Huntelaar ausgedehnt. Polemiker behaupteten, der zunächst überzählige Bundesliga-Topskorer habe eine vergebene Chance Van Persies mit einem Lächeln quittiert. Das «Algemeen Dagblad» reagierte im leicht unterkühlten Tonfall auf das miserable Ergebnis: «Die Titel-Aspiration kann erst einmal im Kühlfach verstaut werden. » Mark van Bommel grätschte verbal nicht nach. Der holländische Captain wich einer stichhaltigen Analyse des 0:1 wortkarg aus: «Ich bin ein wenig sprachlos.» Das Nachbeben war spürbar - der Fehlstart gegen die Dänen fühlte sich für den Finalisten der letzten WM wie eine Demütigung an.

Beste Unterhaltung

Mit lustigen Werbespots in eigener orangen Sache war die Equipe von Bert van Marwijk angereist. Quietsch-Entchen sorgten für beste Unterhaltung. Ein bisschen Spass musste sein.




Auf einem anderen TV-Kanal trällerte die Fan-Kapelle das Lied von den «orangen Raketen». Am Tag der ersten Enttäuschung wirkten die Filmchen wie ein drittklassiger Witz. «Valse start!» Es ist nicht alles, aber schon einiges faul im Cruyff-Staat. Die oberste holländische Fussball-Instanz hat das Nationalteam noch nicht zerlegt. Die Luft ist auch ohne Cruyffs Wort zum Sonntag eher dick. Bert van Marwijk musste in der allgemeinen Hektik prophylaktisch das frühzeitige Scheitern dementieren. Er trat die Flucht nach vorne an. Es sei sinnlos, sich nur mit Negativem zu beschäftigen.

Spanien als gutes Beispiel

Gegen aussen hin demonstrieren die Holländer Gelassenheit und verweisen zur eigenen Beruhigung auf vergleichbare Konstellationen. Spanien zum Beispiel leistete sich im ersten Spiel der WM 2010 eine 0:1-Blamage gegen die Schweiz. Die Fortsetzung der Story ist hinlänglich bekannt. Holland verlor 1988 das Startspiel gegen die UdSSR 0:1 - und bahnte sich später trotzdem den Weg zum einzigen EM-Triumph.

Fallen die Masken?

Der Retro-Look allein genügt allerdings nicht. Im 39. Duell mit Deutschland ist das Team der mutmasslich besten Individualisten auf ein Comeback angewiesen. Nach einer weiteren Niederlage würden die Masken der Diven fallen - der im Fanlied parodierte Ententanz könnte sich im ungünstigsten Fall auf den Rasen verlagern. In der KNVB-Auswahl steckt nicht nur wegen Hauptdarsteller Robben eine Menge «FC Hollywood» drin. Im Land der Fussball-Ästheten wurde sogar nach Siegen in WM-Halbfinals die Stilfrage öffentlich tagelang diskutiert. Unterhaltung ist Pflicht, Kürläufe ebenso. Fehltritte fassen die Gourmets in Orange wie eine persönliche Beleidigung auf. Ihre eher egozentrische Veranlagung vereinfacht die Aufarbeitung von ausserplanmässigen Resultaten nicht unbedingt. Bis zur Wiedergutmachung herrscht Alarmstufe orange.