Sie ist eine der wichtigsten europäischen Institutionen - in der Eurokrise vielleicht sogar die wichtigste - und residiert mitten in Deutschland: die Europäische Zentralbank. Eigentlich könnten die Deutschen ziemlich stolz sein auf die Notenbank, die über den Euro in bald 18 Ländern wacht und vermutlich noch 2014 in einen schicken neuen Wolkenkratzer in Frankfurt umzieht.
Doch richtig warm geworden sind viele deutsche Politiker und Finanzexperten mit der Zentralbank bis heute nicht - eine Einschätzung, die auch EZB-Präsident Mario Draghi teilt und die er in einem «Spiegel»-Interview in ziemlich heftigen Worten zum Ausdruck bringt.
Von einer «perversen Angst, dass sich die Dinge zum Schlechten entwickeln» spricht der 66-Jährige dabei mit Blick auf Stimmen aus Deutschland, die den Kurs der EZB in der Eurokrise kritisierten. «Jedes Mal hiess es, 'Um Gottes willen, dieser Italiener zerstört Deutschland'.»
Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet, der von 2003 bis 2011 im Amt war, wundert sich unabhängig davon in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», warum immer so wenig Lob aus Deutschland für die Notenbank zu hören war. «Das ist etwas, das für mich schwierig zu verstehen war.» Schliesslich sei die durchschnittliche Inflationsrate zu EZB-Zeiten sogar niedriger gewesen als früher in Deutschland unter Obhut der Deutschen Bundesbank.
Emotionale Aspekte
Es sind einerseits komplizierte Details der «Geldpolitik», die in der Vergangenheit für einen Zwist zwischen deutschen EZB-Vertretern und ihren Kollegen sorgten. Sowohl der frühere Bundesbank-Chef und heutige UBS-Präsident Axel Weber als auch der deutsche EZB-Chefökonom Jürgen Stark legten ihre Funktionen bei der Notenbank nieder, weil sie nicht einverstanden waren mit der aktiven Rolle, die die Notenbank in der Eurokrise einnahm.
Speziell der Ankauf von Staatsanleihen aus Krisenländern durch die EZB galt als Zankapfel - eine Notwendigkeit, sagten die einen, ein Tabubruch die anderen.
Die EZB in Frankfurt am Main. /


Auch Webers Nachfolger bei der Bundesbank und im EZB-Rat, Jens Weidmann, zählt bis heute zu den Skeptikern. Wer am Ende Recht behält, dürfte sich erst in einigen Jahren herausstellen.
Andererseits spielen beim Konflikt eher emotionale Aspekte jenseits der Expertendiskussion eine Rolle, und genau das hat ausgerechnet Draghis drastische Wortwahl nun bestätigt. Es geht auch um nationale Befindlichkeiten und im Extremfall um nationale Klischees.
Auf der einen Seite stehen - übertrieben gesagt - die ordnungsliebenden, misanthropischen Deutschen, die ihre Bundesbank als Bollwerk einer «harten» D-Mark verstanden und sich nun zu den guten alten Zeiten mit ordentlichen Sparzinsen zurücksehnen. Auf der anderen Seite die vermeintlich chaotischen Südländer, die auch mal fünf gerade sein lassen im Kampf gegen die Inflation und die Eurokrise.
Draghis Ärger darüber trifft einen Nerv. «Sein Selbstmitleid und Eigenlob lassen ein tief verunsichertes Ego erkennen», meint der Bonner Ökonom Manfred Neumann dazu gegenüber der Zeitung «Die Welt». Von einer Auseinandersetzung über ökonomische Grundsatzfragen hat sich die Debatte damit weit entfernt.
Gerichtsentscheid ausstehend
Unumstritten ist, dass Draghis Versicherung im Sommer 2012, alles zur Rettung des Euro zu unternehmen, die Finanzmärkte zumindest vorübergehend beruhigt und eine weitere Eskalation der Eurokrise verhindert hat.
Wie es weiter geht, muss sich erst noch herausstellen - Weidmann sieht den Patienten Euro zunächst auf der Reha-Station, aber noch nicht gesund entlassen.
In diesem Jahr wird Deutschlands Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob das neue, bisher nicht umgesetzte Anleihenkaufprogramm der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist. Eigentlich wäre dies ein Fall für die Finanzfachleute - aber vermutlich bietet das Urteil auch wieder Stoff für eine emotionale Debatte.