Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 25. März 2014 / 13:06 h
In der epochalen, fünf-bändigen Science-Fiction Trilogie (nein, das war kein Fehler) «Hitchhiker's Guide to the Galaxy», hier auch als «Per Anhalter durch das Weltall» bekannt, beschrieb der Autor Douglas Adams auch kurz den Planeten Golgafrincham. Dessen Gesellschaft eliminierte einen Drittel der Bevölkerung, der ihr unnütz schien, indem sie diesen auf einem Raumschiff (der «Arche B») auf eine Reise zu einem fernen, neuen Heimatplaneten schickte. Dieses Drittel der Bevölkerung bestand vorwiegend aus dem Dienstleistungssektor und umfasste unter vielen anderen Telefon-Desinfizierer, Verwaltungsbeamte und Friseure. Schliesslich strandete die Arche auf der prähistorischen Erde, wo sich dieses Drittel der Golgafrinchamer denn auch ausbreitete. Derweil wurden die zurückgebliebenen zwei Drittel nach einer Zeit des Glücks und des Reichtums von einer virulenten Krankheit, die von einem schmutzigen Telefon ausgegangen war, ausgelöscht.
Dass der Umbau zum Gegenteil, zur reinen Dienstleistungsgesellschaft auch nicht toll ausgehen kann, scheinen viele Bewohner unseres Landes - nicht zuletzt in der Politik - nicht wirklich erkannt zu haben. Trotzdem wird dieser Mais schon seit Jahrzehnten verzapft und sogar gelehrt. Als der Autor vor mehr als 30 Jahren in der Handelsschule mit der Prophezeiung der Tertiär-Sektor-Gesellschaft konfrontiert wurde und der VWL-Lehrer begeistert davon schwafelte, dass sowohl der erste (Landwirtschaft) als auch der zweite (Fertigung und Industrie) durch den dritten Sektor abgelöst und ersetzt würden, und wir dies schon bald erleben dürften, fragte sich der damalige Schüler ernsthaft, wie eine Gesellschaft von Friseusen, Reinigungskräften, Buchhaltern und Börsenanalysten existieren könnte, ohne irgendwann Pleite zu gehen.
Denn die Wertschöpfung findet in der Fertigung, in der Produktion statt. Machen wir uns nichts vor: Kein Journalist, kein Verwaltungsbeamter, kein Innenarchitekt könnte etwas ohne die Macher und Produzierer hinkriegen. Kein Schreibtisch und kein Computer. Kein Haus, in dem man wohnte oder arbeitete, keine Isolierfenster, durch die man in den kalten Märzmorgen rausblicken könnte, wären vorhanden.
Doch eben, etwas machen kann laut sein, und dreckig und sichtbar. Doch bei uns sind selbst Problemindustrien, sofern es sie noch gibt, nicht mehr dreckig, denn dafür haben wir Vorschriften bis zum Eiger rauf. Grenzwerte und Sicherheitsnormen haben in der Schweiz die Industrie sauberer und weniger gefährlich als an fast jedem anderen Ort auf der Welt gemacht. Doch sie wird trotzdem gehasst. Weil sie vorhanden ist. Weil sie daran erinnert, dass Konsum nicht ohne Konsequenz existiert.
Schweizer Idylle: Wo man konsumieren, aber nicht produzieren will. /


Weil sie Geräusche von sich gibt und Fabriken nicht schön, sondern bestenfalls funktionell sind. Weil die Leute, die dort ein und aus gehen, meist nicht der ersehnten Gartenzwergidylle entsprechen. Zu viel Realität, zu wenig Heidiland. Industrie ist dreckig, Industrie ist schlecht, Industrie ist böse: Klein- und vor allem Mittelbetrieben in der ländlichen Schweiz werden von allen Seiten Stecken zwischen die Beine geworfen.
Dabei ist es meist egal, ob die Fabrik dutzenden oder hunderten Menschen ein Auskommen bietet, ob Know How geschaffen und die Zukunft von Menschen gesichert wird, ob sie sauber und effizient arbeitet. Am besten, sie ist ganz und gar weg.
Wir wollen zwar konsumieren, die Emissionen und den Dreck soll bitte sonst wer haben. Fernseher, Autos, Smartphones, Möbel, Teppiche, Geschirr, Hosen und Seife... all das und viel mehr kommt aus Fabriken. Manche gross, andere klein und sehr viele von ihnen unterdessen in Osteuropa, Zentralasien oder gar China. Und alles was von dort kommt, braucht bei uns keine Fabrik, macht bei uns nichts mehr dreckig, existiert nicht in der Schweizer Welt, obwohl die Welt vermutlich sauberer wäre, könnte hier noch mehr nach unseren Masstäben produziert werden.
Doch diese Art von Umweltschutz findet hier kein Verständnis, denn sobald eine Fabrik in der Schweiz einen Anbau machen will, stehen die Chancen gut, dass die Anwohner, die noch nicht mal geboren waren, als die Firma gegründet wurde, Amok oder zumindest bis zur letzten Instanz laufen, um diese Einschränkung ihres Lebensglücks zu bekämpfen. Sekundiert werden sie meist von linken Politikern, die längst ihr Interesse an der Arbeiterschaft verloren haben und in dieser vielfach den politischen Gegner sehen, während auf der bürgerlichen Seite lediglich mit den Schultern gezuckt wird. Denn es ist lange her, seit sich Klein- und Mittelunternehmer in der Politik engagierten und sich in die lokale Debatte einbrachten, wenn sie nicht durch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung dort hin getrieben werden. Denn ein solches Engagement war zwar schon immer zeitraubend, aber es sei in den letzten Jahrzehnten immer undankbarer geworden.
Wird dann - auch wenn der Umbau aus Sachzwängen erfolgen muss - von Betriebsverlagerung gesprochen, schreien sofort hundert empörte Bürger (vielfach jene, die an vorderster Front gegen das umstrittene Projekt gekämpft hatten): «Erpressung!» Denn in ihrer Fantasiewelt können örtlich verankerte Firmen völlig losgelöst von der Realität agieren und produzieren. Wer sich auf Tatsachen und Sachzwänge beruft, zeigt in einer solchen Debatte dann in deren Augen lediglich, dass er ein potentieller Verbrecher ist.
So sind Absiedlungen von Betrieben aus strukturschwachen Gegenden vielfach nicht nur dem Profitstreben der Firmen, sondern auch der dortigen, unternehmerfeindlichen Gesellschaft geschuldet. Diese äussert sich auch in Wahnsinnsintitativen wie jener Namens Ecopop, die eine Art Morgentauplan für die Schweiz in Kombination mit einer Euthanasievorstufe für die dritte Welt vorsieht, um unser Fantasiegärtli zu schützen, wobei es dabei nicht um irgendwelche globalen Ökologieziele geht, sondern um vorgartenzwergige Weltbilder.
Wäre dies nämlich nicht der Fall, würde sich Ecopop zum Beispiel um die Ansiedlung von umweltfreundlicher Industrie in der Schweiz, Ökozölle, die Steigerung der hiesigen Energieeffizienz, verdichtetes Bauen, eine vernünftige Raumplanung und die Eliminierung von Pendlerabzügen bemühen. Stattdessen soll die Industrie und die dritte Welt «beglückt» werden.
Dieses heile Welt herbei sehnen, für das vorzugsweise alle anderen den Kopf hinhalten sollen, dieses provinziale Denken, dass sich ein globales Mäntelchen anzieht, kann irgendwie nur in einer Gesellschaft wachsen, die vergessen hat, dass die Grundlage von ihr im Machen und Gestalten, im Fertigen und Forschen liegt und ihren Horizont ein paar Meter hinter dem nächsten Ortsschild hat.
Wer die derzeitige Debatten mitverfolgt, müsste sich ernsthaft fragen, wo dieses Denken eigentlich her kommt. Würde man irgendwo die Überreste der «Arche B» finden, wäre dies tröstlich und alles würde auf einmal so viel mehr Sinn ergeben. Doch diese Hoffnung dürfte vergeblich sein...