Peter Achten / Quelle: news.ch / Montag, 31. März 2014 / 09:00 h
Bei der Antwort kommt es im ökonomischen wie im wirklichen Leben natürlich auf den Standpunkt an. Zudem ist die Antwort nicht ganz unerheblich für die Volksrepublik, steht doch viel auf dem Spiel: Das Wohlergehen der, wie es plastisch im Propaganda-Lingo heisst, chinesischen Massen nämlich. Wenn es diesen Massen nicht gut geht, dann droht durch soziale Unruhen Chaos. Dadurch wiederum könnte, wie schon so oft in kaiserlichen Zeiten, das Mandat des Himmels verloren gehen. Die allmächtige Kommunistische Partei verlöre, mit andern Worten, die Macht und würde auf dem Müllhaufen der Geschichte enden. Aus diesem und mindestens einem Dutzend anderen Gründen ist eine einigermassen plausible Antwort auf die entscheidende Frage weiche oder harte Landung nicht unerheblich.
Da jedoch die Wirtschaftswissenschaft - was noch längst nicht alle mitbekommen haben - keine exakte Wissenschaft ist, gibt es auf solche Grundfragen verschiedene Antworten und daraus abgeleitete Strategien und Massnahmen. Wie immer jedoch die Antwort ausfällt: die meisten Analytiker sind sich in China, wie im Ausland indessen einig, dass die Ökonomie des Reichs der Mitte einer «Restrukturierung» bedarf.
Betrachtet man das Wachstum und Mehrung des Wohlstands breiter Kreise in China, haben die roten Spitzenmandarine in den letzten 35 Reformjahren nicht, wie oft suggeriert, alles falsch gemacht, sondern fast immer eine leidlich gute Antwort gefunden. Trotz namhaftem Widerspruch im Westen notabene, unter anderem von Wirtschafts-Nobelpreisträgern und den üblichen anti-kommunistischen Untergangspropheten.
Dass gerade jetzt die Frage nach der weichen oder harten Landung einmal mehr aufs Tapet kommt, hat mit dem ökonomischen Paradigmenwechsel im Reich der Mitte zu tun. Nach Massgabe der seit gut einem Jahr die Regierungsgeschäfte besorgenden Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping und Premierminister Li Kejiang soll das chinesische Wachstum künftig vor allem «nachhaltig» sein. In diesem Allerweltsbegriff sind sowohl die Bereiche Umwelt als auch sozialer Friede enthalten. Das Wachstum wird zwar niedriger sein als in den letzten dreissig Jahren mit per annum durchschnittlichen zehn Prozentpunkten. Von der Abhängigkeit von Export- und Infrastruktur-Investitionen soll die Volkswirtschaft Abschied nehmen und mehr auf Binnennachfrage und Konsum setzen.
Den massgeblichen Ton in der Debatte gab - qua Funktion - schon einmal Premier Li Kejiang an. In seiner Grundsatzrede im März vor den «Grossen Zwei» - den rund 3'000 Delegierten des Nationalen Volkskongresses und den gut 2'000 Abgeordneten der beratenden Politischen Konsultativkonferenz - gab er wie schon im vergangenen Jahr zunächst einmal mit 7,5 Prozent ein für China bescheidenes Wachstumsziel an. Die meisten Ökonomen - sowohl aus China als auch aus dem Ausland - rechnen für 2014 im Gegensatz zum vergangenen Jahr aber eher mit sieben Prozent. Doch für Premier Li viel wichtiger war die Betonung auf Restrukturierung der Volkswirtschaft durch schnelle Reformen. Im Mittelpunkt, so Li, stehe der Markt, den er nicht mehr als sehr wichtig sondern als «entscheidend» definierte. So wird denn die «sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung» auch bei derart entscheidenden Reformen wie dem Bank- und Finanzsektor, der Schaffung von Arbeitsplätzen, dem Abbau von Überkapazitäten bei nicht profitablen Staatsbetrieben und - dies vor alllem - der Einebnung der bis anhin wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich sowie Stadt und Land wegleitend sein.
Parteichef Xi Jinping: Bescheideneres aber nachhaltiges Wachstum als Ziel für Wirtschaft.
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Die Privatwirtschaft wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Schon jetzt generieren die findigen Privatunternehmer über sechzig Prozent aller Jobs in China. «Das Wachstumsziel», so Premier Li, «wird den Provinzen signalisieren, dass die Zentralregierung zwar einen gewissen Grad an Wachstum garantieren wird, ohne aber einige dringend nötige, schmerzhafte Reformen zu vernachlässigen». Anders ausgedrückt, ohne schnelle Reformen keine weiche Landung.
Nicht überraschend ist man sich unter Ökonomen weniger einig als bei Chinas Spitzenpolitikern. Die Zunft der Pessimisten führt Princeton-Professor und Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman an. In seinen konzis geschliffenen, wöchentlichen Kolumnen in der «New York Times» prophezeit er trotz aller Bemühungen der chinesischen Führung letztlich einen «Crash», eine harte Landung also. Chinesische Ökonomen wiederum bemängeln im Detail dies und das an den vorgeschlagenen oder bereits in Umsetzung begriffenen Reformen, sind aber überzeugt, dass die chinesische Wirtschaft weich abgefedert landen wird und für die nächsten fünf bis zehn Jahre mit einer jährlichen Rate zwischen fünf und sieben Prozent «nachhaltig», also umwelt- und sozialverträglich, wachsen werde.
Unter chinesischen Ökonomen gibt es aber auch kreativere Köpfe. Einer von ihnen ist Cai Hongbin, Dekan der Guanghua-Management-School an der Pekinger Elite-Universität Beida. Im Gegensatz zur Mainstream-Lehrmeinung, die einer Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts das Wort redet, fordert Professor Cai Neues. Er stellt die sowohl von Optimisten als auch Pessimisten geteilte Akzeptanz der von der Regierung gelieferten statistischen Daten in Frage. Nicht, dass Statistiken heute wie früher zu Maos Zeiten bewusst gefälscht würden. Doch nach Ansicht von Wirtschaftswissenschaftler Cai werden verschiedene Faktoren in Chinas Statistiken unter- oder falsch bewertet. Das führe dazu, dass man sich über Konsum oder Investitionen ein falsches Bild mache. Das Verhältnis Konsum zu Investition zum Beispiel sei, falls korrekt berechnet, heute in China etwa so, wie in Japan und Südkorea zwischen den 1960er und 1980er Jahren, also fürs Wachstum durchaus positiv.
Cais Blickweise eröffnet in der Formulierung von Reformzielen natürlich ganz andere Perspektiven. Beim jetzigen wirtschaftlichen Paradigmenwechsel sind das entscheidende Faktoren in der Bestimmung der Reformpolitik. Für Professor Cai steht deshalb nicht in erster Linie die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts im Vordergrund. Für ihn sind Innovation, Kreativität und steigende Produktivität die entscheidenden Faktoren, welche in der Zukunft «nachhaltiges» Wachstum garantieren werden. Ein von einem ehemaligen US-Präsidenten 1992 für den Wahlkampf kreiertes geflügeltes Wort könnte hier leicht abgewandelt zum chinesischen Propaganda-Slogan werden: It's Innovation, Stupid!