Nur kurz stand Louis van Gaal die Befriedigung ins Gesicht geschrieben, als er von seinem Coup erzählte. Mit einem verschmitzten Lächeln meinte er: «Wir sind ein bisschen stolz, dass der Trick uns geholfen hat weiterzukommen.»
Unmittelbar vor dem Ende der Verlängerung hatte der 61-Jährige getan, woran wohl schon viele Trainer gedacht haben. Doch bislang hatte an einer WM keiner den Mut dafür aufgebracht. Van Gaal ersetzte sein Stammkeeper durch einen im Penaltyschiessen vermeintlich stärkeren Ersatz. Jasper Cillessen durch Tim Krul.
Am besten geeignet
«Das Meisterstück», wie es die holländische Zeitung «Volkskrant» nannte, hatte Van Gaal mit seinem Staff schon im Vorfeld geplant. Jeder Spieler habe seine Stärken, erklärte der streitbare, aber oft geniale Trainer.
«Wir hatten Penaltys geübt und waren überzeugt, dass Krul mit seiner Reichweite für ein Penaltyschiessen am besten geeignet wäre.» Der über 190 Zentimeter grosse Krul wurde den Erwartungen gerecht. Er hielt die Penaltys von Bryan Ruiz und Michael Umaña.
Krul war auf seine mögliche Aufgabe vorbereitet worden, währenddessen Cillessen über die Absichten von Van Gaal nichts wusste. «Er wäre enttäuscht gewesen», rechtfertigte sich der Coach. Tatsächlich war Cillessen enttäuscht.
Bei seiner Auswechslung kickte er verärgert eine Trinkflasche weg. Nur drei Minuten zuvor hatte er die gefährlichste Torchance der Costa-Ricaner entschärfte und damit das Penaltyschiessen erst ermöglicht. Heldenstatus erlangte aber sein Ersatz.
Auf Aufgabe vorbereitet
Der 26-jährige, seit 2006 bei Newcastle United unter Vertrag stehende Krul ist keineswegs als «Penaltykiller» bekannt.
Eine Auswechslung, über die die ganze Welt spricht. /


Vor dem Viertelfinal in Salvador betrug seine Erfolgsquote gerademal zehn Prozent, kein überragender Wert. Doch der sechsfache Internationale war gut auf seine Aufgabe vorbereitet.
Er kannte die gegnerischen Schützen, die bereits im Achtelfinal gegen Griechenland angetreten waren, und profitierte von einem nicht zu unterschätzenden psychologischen Vorteil.
Mit dem überragenden Keylor Navas im Tor schien Costa Rica für die Kurzentscheidung im Vorteil. Doch dann kam völlig überraschend Krul ins Spiel und nicht nur die Zuschauer im Stadion, sondern wohl auch die costa-ricanischen Spieler dachten sich: «Der muss speziell gut sein im Penaltyschiessen.»
Hätten sie gewusst, dass Van Gaal bloss einen schlechten «Penaltykiller» durch einen etwas besseren ersetzt, wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen, selbst wenn Costa Ricas Coach Jorge Luis Pinto von einem psychologischen Schlag nichts wissen wollte.
Spiel mit dem Feuer
Was Van Gaal getan hat, scheint auf den ersten Blick einfach. Doch er ging ein beträchtliches Risiko ein, auch ein persönliches. «Wäre es nicht aufgegangen, hätte man mich für verrückt erklärt», war ihm bewusst. Der erfahrene Coach musste die letzte Auswechslung bereits früh einplanen.
Schon vor der Verlängerung entschied er sich, den geplanten Coup wenn nötig zur Anwendung zu bringen und trotz aufkommender Müdigkeit bei einigen seiner Spieler, sich eine Auswechslung aufzuheben. Dann musste auch noch das Timing stimmen. Krul musste vor Ablauf der Verlängerung eingewechselt werden, aber doch nicht so früh, dass er ohne Rhythmus noch im Spiel gefordert würde.
Die Rechnung geht auf
Im deutschen Cup-Halbfinal 2012 hatte Greuther Fürths Trainer Mike Büskens gegen Dortmund den gleichen Trick versucht. Er wechselte in der 118. Minute mit dem Penaltyschiessen vor Augen seinen Stammkeeper aus. Es folgte ein Schuss von Dortmunds Ilkay Gündogan, der via Pfosten und Rücken des eingewechselten Goalies Jasmin Fejzic den Weg zum 1:0-Sieg ins Tor fand.
Für Van Gaal scheint an dieser WM aber alles aufzugehen. In der Vorrunde hatten seine Joker bereits gestochen, und im Achtelfinal sorgte mit Klaas-Jan Huntelaar ebenfalls ein eingewechselter Spieler für den Unterschied. Am Samstag schaffte es Van Gaal nun sogar seinen Ersatzgoalie zum Matchwinner zu machen.