Der Jubel im Stade de Suisse kannte zumindest bei zwei Dritteln der Zuschauer keine Grenzen, als der souveräne Referee Claudio Circhetta, gegen dessen Spielleitung Sion vor der Partie offiziell Protest eingelegt hatte, abpfiff. Gut sechs Minuten vorher, in der 88., hatte Sions einziger nomineller Stürmer Guilherme Afonso das 3:2 erzielt und die prall gefüllte Kurve hinter ihm zum Beben gebracht.
Der bis zur Winterpause in Holland mässig erfolgreich gewesene Stürmer nützte einen Stellungsfehler von Miguel Portillo aus und schob cool ein. Afonso machte sich mit einem seiner seltenen Tore im Wallis unsterblich, sein Name dürfte in Zukunft mit jenen von David Orlando und Alexandre Rey, den Cuphelden von 1991, genannt werden. «Er hat sich dieses Tor verdient», fand Trainer Didier Tholot. «Seine Rolle als einziger Stürmer entwertete die wichtige Arbeit, die er geleistet hat.»
Walliser Leidenschaft
Mit welcher Leidenschaft Sion im vierten (gewonnenen) Final gegen die Young Boys den Cup-Mythos am Leben erhielt, verdient Anerkennung. Nach schwachem Start und zwei Gegentoren nach Standardsituationen gerieten die erstmals in der Finalgeschichte ohne Walliser in der Startformation angetretenen Sittener bis zur 37. Minute 0:2 in Rückstand. Beide Male hatte Carlos Varela den Penalty respektive den Freistoss herausgeholt. Den Foulpenalty (22.) verwandelte Gilles Yapi souverän, der Freistoss führte zum höchst unglücklichen Eigentor von Jamal Alioui. Bis dahin hatte Sion nervöser, unglücklicher agiert als die Young Boys.
Dem zweiten Gegentor und der knapp vergebenen Chance von Yapi (39.) folgte der Startschuss zur zweiten Sittener Final-Aufholjagd in 18 Jahren. Goran Obradovic verwertete vier Minuten vor der Pause einen Rebound zum 1:2, danach stieg der Lärmpegel im Stadion in den dreistelligen Dezibel-Bereich. Die Walliser Fans, die genauso leidenschaftlich und ununterbrochen sangen wie ihre Akteure auf dem Platz um den Anschluss kämpften, peitschten das Team regelrecht nach vorne. Der Ausgleich schien nur eine Frage der Zeit zu sein - und wurde in der 52. Minute Tatsache. Der früh eingewechselte Verteidiger Stéphane Sarni drückte den Ball nach einem Freistoss über die Linie.
Ab diesem Moment wirkte YB regelrecht geschockt. Gefahr ging von den Bernern, die in den vorherigen Cupspielen 15:0 Tore erzielt hatten, kaum mehr aus.
Ein Schuss für die Geschichtsbücher - Afonso erzielt den Siegtreffer in der 88. Minute. /

Die Sittener Fans waren mit 110 Bussen und mehreren Extra-Zügen aus dem Wallis angereist. /

Trainer Didier Tholot mit dem Pokal. /


Die hoch gelobte Offensive um «Joker» Seydou Doumbia oder den früh angeschlagenen Carlos Varela (Adduktoren) blieb harmlos. «Sion war präsenter, aggressiver, gewann viele Luftduelle», sagte YB-Trainer Vladimir Petkovic. «Dieses 2:0 müssen wir nach Hause bringen. Deshalb nehme ich die Kritik auf mich.» Einziger gelb-schwarzer Aufreger war ein Ball, den Sions unsicherer und nach der Saison nach Ägypten zurückkehrender Goalie El Hadary zwischen den Beinen beinahe ins Tor rollen liess. Und als die meisten schon auf die Verlängerung spekulierten, sorgte Afonso mit seinem Tor für den Berner Knockout.
YBs verpasste Chance
Die Young Boys müssen sich vorwerfen lassen, ihre Chance auf den ersten Titel seit 22 Jahren (Cupsieg 1987) durch grobe Fahrlässigkeit verspielt zu haben. Sie agierten selbst nach der 2:0-Führung relativ unsicher, von kontrollierter Offensive, mit der sie in dieser Saison oftmals überzeugt hatten, waren sie weit entfernt. Petkovics Joker stachen nicht, den Rhythmus fanden die favorisierten Berner nie. «Wir haben alles gemacht, um die Sittener Serie zu brechen», fand Petkovic.
Sein Gegenüber Didier Tholot wird derweil als Held in die Cupgeschichte eingehen. Beim Penaltysieg im Halbfinal in Luzern hatte noch Präsident Christian Constantin offiziell dirigiert, Tholot sah sich die damalige Partie von der Tribüne aus an und übernahm die Leitung am folgenden Tag. Der Franzose vermied mit seinem Team die Schmach, als erste Sittener Mannschaft als Verlierer eines Cupfinals ins Wallis zurückzukehren. «Das ist mein erster Titel als Trainer», so Tholot. «Ich vergesse aber jene Leute nicht, die vor mir ihre Arbeit erledigten, damit sich Sion überhaupt für diesen Final qualifizierte.»
Europa League in Genf
Zu den Ablenkungsmanövern im Vorfeld der Partie passte, dass nach Spielschluss nicht Tholot, sondern zuerst der allmächtige Präsident Christian Constantin mit Konfetti in den Haaren Auskunft erteilte. «CC» sprach davon, dass man nach dem 2:2 in der «exzellenten zweiten Halbzeit» nur noch eine Equipe sah, «nämlich Sion. Ich habe in der Pause zu Obradovic und Monterrubio gesagt, sie sollen das Team mehr antreiben.» Constantins Worte schienen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben.
Lohn für die Umsetzung sind ein Platz in der dritten Qualifikationsrunde der neuen Europa League (die Spiele werden in Genf ausgetragen), gut 15'000 Franken Prämie pro Akteur und ein Motivationsschub für den nächsten «Final» vom Samstag in Vaduz. «Diese Partie ist ebenso wichtig wie der Cupfinal», so Tholot. «Zwei Etappen haben wir bislang geschafft.» Zeit für grosse Feiern bleibt nicht, respektive war nicht erlaubt. Nach dem letzten Triumph 2006 ging die folgende Partie in der Challenge League in Wohlen 0:3 verloren. Constantin: «Das war Warnung genug.»