Wenn die Ehrenamtlichkeit das Rückgrat des Schweizer Sports ist, dann hat der Schweizer Sport ein Rückenleiden. So lautete die Kernaussage von Ueli Maurer. Der Bundesrat und Sportminister war der prominenteste Referent am Magglingertag. Das jährliche Klassentreffen wichtiger Entscheidungsträger aus der Sportpolitik, den Sportverbänden und zugewandten Organisationen stand im europäischen Jahr der Freiwilligenarbeit ganz im Zeichen des Ehrenamts.
Ob Matthias Remund als Direktor des Bundesamts für Sport und Gastgeber der Tagung, Jörg Schild als Präsident von Swiss Olympic, Prof. Dr. Siegfried Nagel von der Universität Bern oder die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion mit Peter Gilliéron, dem Präsidenten des Schweizerischen Fussballverbandes, als bekanntestem Teilnehmer - alle Protagonisten taten sich schwer, Lösungen für eine Entwicklung zu präsentieren, die für den Sport zunehmend zur Bedrohung wird.
Zuoberst auf dem Sorgenbarometer
Eine aktuelle Erhebung des Teams um Siegfried Nagel belegt, was die Leute an der Basis, in den über 20'000 Sportvereinen, schon lange gemerkt haben: Die Suche nach Ehrenamtlichen wird immer schwieriger. Diese Tatsache steht gemäss Nagel in vielen Sportvereinen an erster Stelle ihres Sorgenbarometers. Ein weiteres Problem sei, dass die Vereinstreue abnehme, die Konsumhaltung dafür zunehme. Bahnbrechende Erkenntnisse sind das nicht, die Symptome und Diagnosen vielmehr altbekannt. Doch wie kann die sich im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen ausbreitende Krankheit therapiert werden?
Konkrete Vorschläge waren rar, es dominierten Allgemeinplätze und Schlagworte. Einen guten, wenn auch nicht neuen Ansatz hatte Ueli Maurer zur Hand. Genauso selbstverständlich wie einen Kassier oder eine Aktuarin sollte ein Verantwortlicher für die Freiwilligenarbeit zu den Amtsträgern in einem Sportverein gehören. Urs Schmidig, der Direktor des Sportamts der Stadt Zürich, berichtete, wie Zürich den Sport auch unterstützt, indem sich die öffentliche Hand an den Lohnkosten von Grossvereinen für professionelle Trainer beteiligt.
Die Schweizer Sportpolitik beklagt die unsichere Rückendeckung durch Freiwilligenarbeit. /

Die Idee mit dem Steuerabzug
Angela Lüthold-Sidler, der Präsidentin des FC Nottwil und Luzerner Kantonsrätin, brachte das Thema Steuerabzug zur Sprache. Die Idee dahinter: Wenn Spenden für wohltätige Zwecke abgezogen werden können, dann soll vom Steueramt bitteschön auch Freiwilligenarbeit anerkannt werden. Vor zehn Jahren hatte das Parlament eine entsprechende Initiative einstimmig abgelehnt, wie Ueli Maurer in Erinnerung rief. Das Problem: Wie lässt sich Freiwilligenarbeit messen, quantifizieren? Ungeachtet der ungelösten Frage hat die Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret die alte Idee mit einer Mitte Juni eingereichten Motion neu lanciert.
Angela Lüthold-Sidler, Jacques Strahm, der Personalchef im Organisationskomitee der OL-WM 2012 in Lausanne, und Walter Mengisen, der Stellvertreter von BASPO-Direktor Remund und Präsident des Eishockey-Erstligisten SC Lyss, brachten in ihren kurzen Vorträgen die praktische Sicht der Dinge ein. Ihre Beispiele unterstrichen die akademische Erkenntnis, dass für die Mehrzahl der ehrenamtlich tätigen Betreuer und Funktionäre nicht materielle Anreize Priorität haben, sondern weiche Faktoren wie soziale und emotionale Verbundenheit. Werte, die eine Heim-WM im orientierungsläuferischen Niemandsland Romandie nicht so einfach bieten kann wie das Grümpelturnier des lokalen FC.
21'000 Vollzeitstellen im Wert von 1,9 Milliarden
Eindrücklich sind die Zahlen einer kürzlich präsentierten Studie des Observatoriums für Sport und Bewegung Schweiz. Im Schweizer Sport werden 285'000 Ehrenämter verrichtet. Der Gesamtaufwand dieser Freiwilligenarbeit entspricht 21'000 Vollzeitstellen, was bei 1900 Stunden Jahresarbeitszeit und 43 Franken Stundenlohn einen Wert von ungefähr 1,9 Milliarden Franken ergäbe.
Würden diese Kosten auf die Mitglieder abgewälzt, stiege der durchschnittliche Jahresbeitrag von heute rund 100 auf 1000 Franken. 80 Prozent aller Arbeiten in den Sportvereinen werden heute von Ehrenamtlichen erledigt. Vor 15 Jahren waren es noch 90 Prozent. Es zeigt sich also, dass die fortgeschrittene Professionalisierung in den Verbänden auch vor den Vereinen nicht Halt macht. Der Entwicklung sind allerdings nur schon aus monetären Gründen enge Grenzen gesetzt.