Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 23. November 2011 / 09:30 h
Im Klartext hiess das: Die Mafia liess die direkten Regierungsverantwortlichen und Teile des Rechtsstaates intakt, solange ihre Geschäfte nicht wesentlich tangiert wurden. Ab und an wurde der eine oder andere Staatsanwalt doch ermordet (Giovanni Falcone, Paolo Borsellino als prominenteste Opfer) - ohne irgendwelche Konsequenzen.
Seit dem Bestseller «Ghomorra» wissen wir, dass der Mafia seit 1989 der Sprung von der italienischen «Demokratie» in die Brüsseler «Demokratie» gelungen ist: Im europäischen Raum mordet das organisierte Verbrechen zwar weiterhin lokal, «verdient» aber ganz prächtig und global. Ghomorra zeigt, wie das Geld aus dem organisierten Verbrechen schliesslich seinen Weg in unsere Grossbanken findet.
Erleichtert wird das dreckige Spiel, das sich übrigens vor unser aller Augen abspielt, durch das klägliche, peinliche Scheitern der italienischen und europäischen Linken, die sich lieber selber auslöscht, bekämpft oder nur nach Milliardengenossen wie Schröder schielt, statt ihrem Programm, die Demokratie endlich zu verwirklichen, gerecht zu werden.
Verlorene Jahrzehnte liegen hinter uns, die auch von uns ganz nach dem Motto: «It?s the end of the world as we know it and I feel fine» (REM) gelebt wurden. Resultat ist überall dasselbe: Die italienische Gesellschaft ist völlig entpolitisiert, die europäische folgt ihr in ihrem Verdruss auf die real existierenden kläglichen Politiker nach.
Angela Merkels Strategie der technokratischen Herrschaft, die ausschliesslich ihren eigenen Lobbyinteressen und ihrer Wiederwahl verpflichtet ist, ist mittlerweile europäisches Herrschaftsmodell. Die bunte Widerstandsbewegung Occupy, die friedlich auf ein «So nicht mehr» aufmerksam machen wollte, ist inzwischen auch in einer frappant gleichzeitigen, globalen Räumungsaktion in vielen Städten plattgemacht worden.
Italien geht, wie immer, wenn es sich um das Unfassbare handelt, punkto Oligarchie noch ein Stück weiter: Die Regierung Monti besteht nur noch aus sogenannten Experten. Deren einzige Aufgabe besteht darin, Italien aus der Finanzkrise zu retten. Sie soll dies tun, ohne die Finanzdiktatoren auch nur um einen Millimeter in ihrer Macht zu beschränken.
Architekt als Feuerwehrmann aufgeboten: Mario Monti /


Das erinnert an ein Haus, das in Flammen steht und statt die Feuerwehrmänner zu rufen, die Architekten zusammentrommelt. Mit deren Wissen hofft man, im brenneden Gebäude den Brandherd und die Struktur des Feuers zu analysieren. Nach stundenlangen Verhandlungen wird man dank der Architekten auch wissen, weshalb das Haus so brennt und nicht anders, man hat eventuell sogar den Brandherd gefunden, doch hoppla: Das Haus ist unterdessen schon längst im Feuer verschwunden.
So geht es der italienischen Demokratie. So geht es der europäischen Demokratie. Demokratie ist übrigens ein zu starker Begriff für diese Farce, die u.a. von Angela Merkel wie eine Umfrageinstitution und Gefälligkeitsdienstleisterin für Finanz- und andere Lobbyinteressen inszeniert wird. Wie meinte schon wieder Robert Michels vor über hundert Jahren? «In der Demokratie feudalisiert sich das Bürgertum. Es lässt sich vom Adel aufsaugen und bildet mit ihm zusammen die Oligarchie, welche die Macht im Staat unter sich aufteilt. (...) Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie. (...) Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über den Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden.»
Mehr gibt es nicht zu sagen. Robert Michels wusste zu seiner Zeit nur nicht, dass «Adel» heutzutage Finanzaristokratie, organisiertes Verbrechen und medial hochgepuderte Staatslakaien heissen.
Literatur: Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Original 1911.