Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 5. Dezember 2011 / 11:09 h
Vielleicht muss man zurück blenden. November 1975. In Rom wird der Intellektuelle, Schriftsteller und Filmregisseur Pier Paolo Pasolini brutal ermordet aufgefunden. Der Körper, grausig zugerichtet, wird zuerst für ein Abfallbündel gehalten. Schon nach Stunden wird der Mörder präsentiert: Ein Stricher, mit dem der homosexuelle Pasolini Streit gehabt habe, hätte den Schriftsteller getötet.
Der Festgenommene hat praktisch keine Blutspuren an seinen Kleidern und eigentlich muss es für jeden klar sein, dass dieser angebliche Einzeltäter unmöglich die praktisch zu einem blutigen Muss zugerichtete Leiche nach dem Mord an den Fundort hätte verfrachten können, ohne sich selbst mit Blut zu beschmieren. Doch Pino Pelosi gestand und niemand äusserte danach Zweifel an der Version. Zumindest nicht laut und an der Öffentlichkeit.
Erst nach dem Ende des kalten Krieges und lange nach seiner Haftentlassung 1982 machte Pelosi 2005 widersprüchliche Angaben, zu dem was wirklich passiert sei, lenkte so die Aufmerksamkeit wieder auf den Mord. Und auf einmal tauchten Hinweise auf, dass der italienische Geheimdienst, Faschisten - von denen einige schon zuvor probiert hatten, Pasolini zu ermorden - ja womöglich die Regierung selbst in den Mord verwickelt war. Doch Mitschuldig ist auch die linke Opposition, indem diese nach Pasolinis Tod nicht aufschrie und den Mord als jene politische Hinrichtung outete, die sie gewesen war.
Denn Pasolini ärgerte alle Mächtigen in Italien, die Linken und die Rechten. Mit seinen angriffigen Kolumnen im Corriere della Sera zeigte er auf, wie sich die Christdemokraten unter dem ewigen Manipulator Andreotti und die italienischen Kommunisten unter Enrico Berlinguer trotz erbitterter Feindschaft arrangierten und ihre Macht untereinander aufteilten. Bereits als Pasolini noch lebte, bahnte sich ein 'historischer Kompromiss' zwischen den beiden Lagern an, ein Kompromiss, der aber sowohl von den Hardlinern von links und rechts bekämpft wurde.
Unapettitliches Strandgut aus den Tälern der Korruption: Silivo Berlusconi
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Diesem Kampf fiel denn auch einer der Initiatoren dieses Kompromisses, der Christdemokrat Aldo Moro, zum Opfer, der von den Links-Terroristen der Roten Brigaden entführt und ermordet und von der Regierung nicht befreit wurde, obwohl das Versteck der Terroristen scheinbar dem Geheimdienst bekannt war.
Pasolini schrieb vor seiner Ermordung auch an einem Schlüsselroman, «Petrolio», in dem er ziemlich unverblümt die Machstrukturen Italiens durchleuchtete und von dessen Manuskript nach seinem Tod ein Kapitel über den Ölkonzern Eni gestohlen wurde. Niemand weiss von wem und weshalb genau. Nur dass der Inhalt sehr brisant gewesen sei, scheint bekannt.
Pasolini und Moro waren zwei Exponenten eines Italiens, welche das Land aus dem Einfluss der fünften Kolonnen befreien wollten, welche sowohl bei den Kommunisten als auch in der Democrazia Cristiana unter Einfluss von KGB und CIA gegen die Interessen der Demokratie agitierten und während Jahrzehnten ein Schattenland aufbauten, wo hinter den Kulissen, jene, die vor diesen das Volk vertraten, Terrorakte wie Bombenanschläge gegen jenes ausführen liessen und - je nach Seite - auf eine Militärdiktatur oder einen stalinistischen Umsturz hin arbeiteten.
Pasolini war einer der wenigen, der dies unverblümt aussprach und nieder schrieb. Ob er alleine etwas hätte ändern können - oder mit einigen anderen mutigen zusammen? Schwer zu sagen. Aber indem er, Moro und viele andere, weniger berühmte Leute ermordet wurden, stellte sich diese Frage in der Folge gar nicht mehr. Grabesruhe in einem verrottenden Land.
Diese Strukturen des sich gegenseitig die Hände waschen und des Rücken kratzen, der Korruption und der Gewissenlosigkeit waren nicht zuletzt mit dem Geld aus den Kalte-Kriegs-Kassen von Moskau und Washington während Jahrzehnten aufgebaut worden. Als in den 80ern die Geheimloge P2 ausgehoben wurde, in der von der Politik über die Wirtschaft und das Militär bis zur Mafia alle Eliten kungelten, hätte man denken können, dass sich die Dinge zum Besseren wandeln würden.
Doch die Gräben aus den Jahrzehnten zuvor waren zu tief und selbst als das durch und durch korrupte System Andreotti in den 90er Jahren zusammen mit den ebenso korrupten Sozialdemokraten unter Craxi begraben wurde, flossen die Ströme der Macht weiter in den selben Tälern der Korruption und spülten als nächstes unappetitliches Strandgut einen Mann mit Mafia-Kontakten und undurchsichtiger Vergangenheit, Silvio Berlusconi an, der das Elend weiter führte, ohne Skrupel und Hemmungen.
Es ist kein Zufall, dass auch Griechenland ein «Frontland» des kalten Krieges gewesen ist. Auch dort wurde der Staat von links und rechts als lächerliche Fassade gestaltet, hinter der der kalte Krieg tobte.
Ja, dieser Krieg mag lange vorbei sein, doch erst jetzt wird langsam die Verheerung sichtbar, welche die Supermächte damals angerichtet haben, indem sie Nationen aushöhlten und zu Zombiestaaten verwandelten.
Mario Monti präsentiert jetzt den Italienern die Rechnung. Aber eigentlich müsste er diese in den Kreml und an das Weisse Haus schicken.