«Ich sorge mich mehr um unser Land als um einen 20 Jahre alten Eid», sagt Senator Saxby Chambliss.
Die revolutionäre Abkehr vom Parteidogma ist zum einen ein Zeichen der chaotischen Zustände innerhalb der Partei, nachdem die Republikaner sowohl die Präsidentschaftswahl als auch die Parlamentswahlen verloren haben. Zum anderen könnte eine drohende Haushaltskrise, die sogenannte Fiskalklippe, die Republikaner zum Umdenken angeregt haben.
Hinter dieser Fiskalklippe verbirgt sich eine Kombination aus 600 Milliarden Dollar an Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die im Januar in Kraft treten könnte. Ökonomen befürchten eine neue Rezession in Amerika, sollten sich die Demokraten und Republikaner nicht bald auf einen Kompromiss einigen.
Wohlhabende Bürger sollen mehr zahlen
Die Demokraten wollen zwar keine Steuererhöhungen für den Grossteil der Amerikaner, sind aber der Meinung, dass wohlhabende Bürger durchaus mehr zahlen sollten - eine Position, die die Republikaner seit Monaten bekämpfen.
Alles eine reine Glaubenssache: Als entschiedene Verfechter eines schlanken Staats und konsequenter Haushaltsdisziplin sind die Republikaner seit langem dagegen, Steuerzahlern eine grössere Last aufzubürden.
Aus diesem Glaubensgrundsatz wurde 1986 sogar ein ausdrückliches Versprechen, als der einflussreiche Republikaner Grover Norquist viele Mitglieder des Kongresses überzeugen konnte, einen «Eid zum Schutz des Steuerzahlers» zu unterzeichnen. Die Abgeordneten versprachen, dass sie niemals für eine Steuererhöhung stimmen werden. Seine Organisation prahlt gerne damit, dass die überwiegende Mehrheit der Republikaner im Senat und Repräsentantenhaus unterschrieben hat.
Im Senat sind die Republikaner mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Steuererhöhungen in der Minderheit. Im Repräsentantenhaus, der anderen Kammer des Kongresses, stellen sie jedoch die Mehrheit und können somit jeden Gesetzesentwurf abschmettern, der neue Steuern vorsieht.
Inzwischen haben einige einflussreiche Republikaner allerdings damit begonnen, sich von ihrem Versprechen zu distanzieren.
Senator Saxby Chambliss. /


So äussert sich zum Beispiel der ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain seit kurzem bei diesem Thema recht vage. Obwohl es noch unklar ist, wie viele Abgeordnete sich am Ende von diesem Eid wirklich lossagen, wird diese Möglichkeit von wichtigen Personen des Kongresses erwogen.
Norquist sagte, er wolle nicht, dass sich die Republikaner ihrer Verantwortung entziehen, doch die Zeiten haben sich geändert − und mit ihnen die Wähler. Einer neuen CNN/ORC-Umfrage zufolge befürworten inzwischen selbst Bürger, die den Republikanern zugeneigt sind, mit 52 zu 44 Prozent eine Mischung aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen.
Präsident Barack Obama, der nicht nur durch seine Wiederwahl, sondern auch dank der guten Wahlergebnisse seiner Partei im Repräsentantenhaus und im Senat neuen Auftrieb bekommen hat, führt eine öffentliche Kampagne zum Abbau des Haushaltsdefizits. Er betont immer wieder, dass die Republikaner ihre Haltung nun überdenken.
«Den jüngsten Nachrichten zufolge stimmen anscheinend immer mehr Republikaner der Idee zu, dass wir einen Kompromiss finden müssen. Das freut mich sehr», sagte er.
Amerika wird vermutlich nicht über die Fiskalklippe stürzen. Bereits in der Vergangenheit schienen Haushaltsdebatten immer wieder in einer Sackgasse zu stecken, allerdings konnten die beiden Lager bisher stets eine Lösung finden.
Bei den Republikanern könnte jedoch ein Umdenken stattfinden - sie müssen die Schieflage des US-Haushalts und ein schlechtes Wahlergebnis gegen ein heilig anmutendes Credo abwägen.
Jonathan Mann
Dieser Text stammt von Jonathan Mann, Moderator und Journalist bei CNN International. Seine Kolumne steht in der Schweiz exklusiv für news.ch zur Verfügung.