Die grosse Kammer schloss sich damit dem Bundesrat und dem Ständerat an, welche sich hinter die sogenannte Mittelvariante II gestellt hatten. Eine bürgerliche Minderheit aus SVP, FDP und Teilen der CVP favorisierte eine mildere Variante, bei der sich der Erstunternehmer durch einen einfachen Vertrag von der Haftung befreien könnte.
Das Parlament reagiert mit der Solidarhaftung auf Lohnverstösse auf dem Bau, die mit der Personenfreizügigkeit in Verbindung gebracht werden. Die Massnahme soll verhindern, dass am Ende einer langen Auftragskette Scheinselbständige aus Osteuropa für etwas mehr als 1000 Euro monatlich die Arbeit verrichten, wie der Gewerkschafter Corrado Pardini (SP/BE) als Kommissionssprecher sagte.
Befreiung bei Sorgfalt
Mit der Solidarhaftung haften Erstunternehmer wie Total-, General- oder Hauptunternehmer für sämtliche Subunternehmer, sofern diese nicht für Lohnverstösse belangt werden können. Die Massnahme beschränkt sich auf das Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Wenn ein Subunternehmen gebüsst wird, haftet der Erstunternehmer ebenfalls.
Von der Haftung befreien kann sich ein Unternehmen, wenn es überprüft hat, dass die Subunternehmer die Lohn- und Arbeitsbedingungen einhalten. Diese Sorgfaltspflicht kann ein Unternehmen beispielsweise erfüllen, wenn es sich Dokumente und Belege vorlegen lässt. Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann kündigte eine «effiziente» Umsetzung an.
Akzeptanz für Personenfreizügigkeit
Schlagendes Argument für die meisten Fraktionen war die Unterstützung im Volk für die Personenfreizügigkeit, vor allem im Hinblick auf die absehbare Erweiterung des Abkommens auf Kroatien. «Mit jedem Fall von Lohndumping, der öffentlich wird, sinkt die Akzeptanz für die Personenfreizügigkeit», sagte Ada Marra (SP/VD).
Mehrere Redner strichen die Solidarhaftung auch als wichtiges Mittel für einheimische KMU heraus. Diese seien einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt, wenn sie sich im Gegensatz zu ausländischen Konkurrenten an die hiesigen Lohnbedingungen hielten, sagte Hans Grunder (BDP/BE). Andere wiesen daraufhin, dass unter den KMU keine Einigkeit herrsche.
Solidarhaftung für ganze Auftragsketten im Nationalrat bestätigt /


Vor allem die FDP und die SVP befürchteten im Einklang mit den Baumeistern zusätzliche Bürokratie durch die Solidarhaftung. Ruedi Noser (FDP/ZH) warnte zudem davor, dass diese einfach umgangen werden könne, indem Aufträge ins Ausland vergeben würden oder Unternehmen vermehrt auf Temporärarbeit ausweichen.
Eingehen wollte die FDP «das Risiko» der Solidarhaftung, wenn diese auf sechs Jahre befristet wird. Mit 116 zu 72 lehnte dies der Nationalrat aber ab. Fulvio Pelli (FDP/TI) wollte damit sicherstellen, dass bessere Lösungen gesucht werden als die Solidarhaftung. Beispielsweise sollten die Unternehmen Anreize erhalten, die Auftragsketten zu begrenzen.
Nichts wissen wollte der Nationalrat auch davon, Bauherren als Auftraggeber wie Erstunternehmer in die Solidarhaftung einzuschliessen. Der Rat lehnte einen Antrag aus den Reihen der SVP mit 135 zu 54 Stimmen ab.
Schneider-Ammann: Besorgniserregende Situation
Für die Solidarhaftung setzte sich auch Bundesrat Johann Schneider-Ammann mit Vehemenz ein. «Die Situation ist besorgniserregend», sagte der FDP-Bundesrat. Es komme zu unlauterem Wettbewerb auf Kosten der Mindestlöhne und korrekt arbeitender KMU.
Diese schweren Missbräuche rechtfertigten einen Eingriff in die Wirtschaftsordnung. «Wir müssen den Missständen den Riegel schieben.» Würde eine mildere Variante gewählt, handelte es sich nur um ein «Scheingefecht».
Der Ständerat hatte sich in der Herbstsession mit einer knappen Mehrheit von 22 zu 18 Stimmen für die Solidarhaftung ausgesprochen. Zusätzlich zum Ständerat verlangt die grosse Kammer, dass der Bundesrat die Wirkung und die Kosten der Solidarhaftung spätestens in fünf Jahren gegenüberstellt. Das Geschäft geht deshalb zurück an den Ständerat.