Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 8. April 2013 / 11:45 h
Je länger sich Forscher mit dem Erbgut beschäftigen, je mehr wissen sie über unsere DNA, desto mehr Fragen stellen sie und desto komplexer erscheinen die Vorgänge, welche die entscheidenden biologischen Vorgänge in unseren Zellen steuern.
Die Epigenetik ist noch gar nicht in das populäre Wissen vorgedrungen, obwohl dieses Phänomen genau so wichtig ist, wie die eigentliche DNA. Epigenetische Vorgänge bestimmen, welche Proteine von der DNA erzeugt und welche Vorgänge unterdrückt werden. Gesteuert werden diese Vorgänge durch Methyl-Gruppen (CH3). Methyl ist ein organisches Molekül das sich an die DNA-Basis Cytosin anhängen kann.
Passiert dies, rollt sich der methylierte Bereich der DNA enger auf und kann so die dort verschlüsselten Proteine nicht mehr per RNA erzeugen lassen. Die Methylgruppen heften sich dabei nicht nur kurzzeitig an - sie können sich permanent an die DNA anheften und sogar an kommende Generationen vererbt werden. Dieses genetische Extra ist zum Teil schon seit den 1970er Jahren bekannt und spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von manchen Krebsarten.
Lange Zeit wurde angenommen, dass die Methylisierung von Genen nur durch molekulare Signale ausgelöst werden könnten. Doch Beobachtungen an Rattenbabies in den frühen 2000er Jahren deuteten darauf hin, dass diese, wenn sie von ihren Müttern nur selten geleckt und widerwillig gesäugt wurden, zu nervösen, gestressten Ratten, solche die liebevoll umsorgt wurden, hingegen zu stressresistenten, zufriedenen Tieren heranwachsen. Die Ursache dafür war die Methylisierung der Gene in den Rattenhirnen, welche die Produktion von Glucocorticoidrezeptoren steuern, die die Empfindlichkeit gegenüber Stresshormonen regulieren.
Methylisierung der DNA: Stress, Angst und Unsicherheit, fest geschrieben im Erbgut. /


Der Schritt zum Menschen war da nur logisch und die seit einigen Jahren gesammelten Resultate zeichnen ein klares Bild. 2008 zeigte eine Untersuchung der Hirne von Selbstmördern im Vergleich zu denen Gleichaltriger, die eines anderen Todes gestorben waren, eine exzessive Methylisierung von Genen im Hippocampus, einer Hirnregion, die vor allem für Gedächtnisleistung und Stressverarbeitung zuständig ist. Und wenn die Selbstmörder Opfer von Kindsmisshandlung geworden waren, war die Methylisierung noch höher.
Eine Genstudie in England zeigte eine hohe Metyhlisierung von Genen von Menschen, deren Familien während ihrer frühen Kindheit grosse materielle Not gelitten hatten. Blutproben von 14 Kindern aus russischen Waisenhäusern zeigten eine weit höhere Methylisierung des Genoms als jene von Kindern, die durch die biologischen Eltern aufgezogen wurden.
Diese Vorgänge erklären auch die massenhafte Unfähigkeit von traumatisierten jungen Kriegsflüchtlingen auch später im Leben wieder Fuss zu fassen. Besonders, wenn die Familien selbst im Ganzen zerrüttet wurden und auch später keinen Halt und keine Liebe bieten konnten, zeigt sich doch auch, dass die Effekte im Hirn durch grosse Zuneigung und Sicherheit im Umfeld zum Teil wieder umgedreht werden können.
Womit wir nun mitten in der Eurokrise gelandet wären. Millionen von Familien stehen momentan vor dem wirtschaftlichen Abgrund und es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Stress der Eltern, ihre Existenzangst und auch die finanzielle Not Spuren in den Hirnen der kleinen Kinder hinterlassen wird. Denn Stress, Angst und Unsicherheit verhindern vielfach, dass sich Eltern noch so um ihre Kinder kümmern können wie sie dies wollen und diese es vor allem in frühen Jahren brauchen.
Hoffentlich wird es nicht soweit kommen, aber einiges deutet aus epigenetischer Sicht darauf hin (siehe die Studie aus Grossbritannien), dass hier eine Generation heranwachsen könnte, die ängstlicher, nervöser und weniger leistungsfähig sein wird, die betroffenen Länder also auf Jahrzehnte hinaus auch eine Schwächung ihres Humanpotentials erleben werden. Im Angesicht der ohnehin schon riesigen Probleme dieser Nationen würden diese Kinder der Austerität ein weiteres Problem sein, eine Generation, denen der Niedergang ihrer Heimat und der wirtschaftliche Ruin ihrer Familie regelrecht in die Gene ihres Hirns geschrieben worden ist.