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Cyber-Heuchelei im MultipackPrism und Tempora, zwei Programme, welche die Zornesröte in die Gesichter vieler Menschen treiben, sind momentan in aller Munde. Das Ausmass der Spionage gegenüber unbescholtenen Bürgern scheint gigantisch zu sein. Ebenso die Heuchelei, die von manchen Staaten in dem Zusammenhang betrieben wird.Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Mittwoch, 26. Juni 2013 / 16:20 h
Machen wir uns nichts vor: Spione spionieren und versuchen, mit allen ihnen erlaubten Mitteln den von den Regierungen vorgegebenen Status Quo zu erhalten und dabei der eigenen Nation - oder dem was sie dafür halten - dem Ausland gegenüber Vorteile zu verschaffen. Die Datenschnüffelei der USA und - in noch viel grösserem Ausmass - Grossbritanniens sind da nichts als logische Folgerungen.
Wenn die deutsche Kanzlerin verunsichert empört über die Bespitzelei durch ihre «Freunde» ist, dann kann sich das ein Mensch mit klarem Verstand nur damit erklären, dass sie denkt, dass ihre damalige DDR niemals gegen die UdSSR geschnüffelt hätte und meint, dass die Welt immer noch die Gleiche wie damals ist - was natürlich beides Blödsinn ist. Auch der Stasi versuchte, an Informationen aus Moskau zu kommen - vor allem kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks.
Auch im Westen hat Spitzelei unter Freunden Tradition: CIA, BND, MI5 - und wie die Vereine alle heissen - liessen schon seit jeher ihre Fühler so weit es nur ging in die Etagen der Mächtigen der Partnerstaaten wachsen, während einfache Bürger nur dann bespitzelt wurden, wenn sie besondere Fähigkeiten oder Positionen innehatten.
Heute arbeiten hingegen alleine hunderte Geheimdienstmitarbeiter der angelsächsischen Geheimdienste um den unglaublichen Datenwust, der jeden Tag von «Tempora» aufgesogen wird, zu durchforsten. Tönt erschreckend? Eine Nation, die sich durch das ausreisen lassen von Edward Snowden soeben als Verteidigerin der Datenfreiheit profilierte, beschäftigt selbst eine Cyber-Armee mit 100'000 Mitgliedern, mit denen sie die eigenen Bürger und deren Kontakte ins Ausland bespitzelt, Kommunikationskanäle willkürlich lahm legt und Twitterer für rebellische Kommentare schon auch gerne mal einlocht (erinnert sich noch jemand an die chinesische Jasmin-Revolution?). Ja, jetzt ist es klar: Es geht um China.
Nachdem China dann die USA noch als den grössten Schurken der Gegenwart beschimpft hatte (eine laute Ablenkung von eigenen Schweinereien ist besser als irgend eine Ablenkung) flüchtete der für seinen Mut zu recht bewunderte Snowden in die Arme des nächsten opressiven Regimes, Russland. Der Staat, in dem sich Vladimir Putin eben als Zar der Neuzeit installierte; das Land, in dem es neuerdings sogar verboten ist, realistisch oder gar positiv über Homosexualität zu sprechen und wo ein russisch dominierter Fascho-Panslavismus fröhlich Urständ feiert, lässt den Amerikanischen Flüchtling im extraterritorialen Transitbereich seines Hauptstadtflughafens eine Pause auf seiner Flucht machen, bevor es vermutlich nach Ecuador weitergeht.
Ach ja, Ecuador. Der Andenstaat hat in seiner Londoner Botschaft ja schon den Wikileaks-Chef Julian Assange verstaut und will nun scheinbar auch Snowden aufnehmen.
Flüchtling Snowden: Von einem oppressiven Regime zum nächsten geflüchtet. /
Es wäre schön, wenn unbequeme Charaktere im eigenen Land so tolerant behandelt würden. Obwohl es Fortschritte gäbe, werden vor allem Angehörige von indigenen Völkern durch Sicherheitskräfte brutal behandelt und auch um die Pressefreiheit ist es nicht so toll bestellt, auch wenn zum Beispiel vier zu Gefängnisstrafen verurteilte Reporter vom Präsidenten begnadigt wurden. Die Tatsache, dass Journalisten überhaupt begnadigt werden müssen, ist bedenklich genug. Und auf dem Weg nach Ecuador werde Snowden angeblich in Kuba halt machen. Noch so ein Hort der Freiheit und Menschenrechte. Diese ganze Farce beleuchtet auf krasse Weise die Entkoppelung der Staatsmacht von seinen Bürgern - und zwar auf der ganzen Welt, inklusive des Westens, was besonders bedenklich ist. Und wenn ein solcher Skandal losbricht, ist auch kein heilsamer Schock zu erwarten: Jene, die verraten wurden (nein, nicht die Bürger, die Geheimdienste!), toben, während jene, die politisch davon profitieren, so viel Propaganda-Kleingeld wie möglich daraus lösen wollen und dies auch tun. Dies schliesst totalitäre Regime mit ein und sogar eine Sarah Palin, die sich als Verteidigerin der Privatsphäre der Bürger darstellt, wenn sie über Obamas Regierung herzieht. Wäre sie heute Vizepräsidentin würde sie mit Bestimmtheit den Kopf von Edward Snowden fordern und diesen mit Freude in ihrem Wohnzimmer neben die anderen Jagdtrophäen aufhängen, denn PRISM wurde von beiden Parteien, beiden Kammern des US-Parlaments und den US-Gerichten gebilligt. Die Cyber-Heuchelei ist fast nicht auszuhalten und allen, die zurecht empört über die Megaspitzeleien sind, ist geraten, gerade jenen Mächtigen und Mächten gegenüber misstrauisch zu sein, die sich jetzt als Verteidiger der Freiheit im Internet und jener, die für sie kämpfen, aufspielen. Denn hier haben wir definitiv den Fall von Eseln, die andere ein Langohr schimpfen. Wobei die einen Langohren - nämlich die westlichen Demokratien - es in den eigenen Händen hätten, mit klaren Normen, Gesetzten und einer glaubhaften Kontrolle der Schnüffler wieder zu dem zu werden, was sie immer mehr nur gerne sein wollen: Orte der Freiheit, die diesen Namen auch verdienen.
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