Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 4. Februar 2014 / 12:56 h
Nein, spezielle Häme verdient Alice Schwarzer nicht dafür, dass ihre nach deutschem Recht bereits gesetzeskonform gebüsste Steuersünde öffentlich gemacht wurde. Aber sie hat auch keinen Anspruch auf spezielle Gnade oder mildernde Umstände durch die Öffentlichkeit. Ein solcher - nicht gewährter - mildernder Umstand wäre es gewesen, sie nicht an den sehr harten eigenen Ansprüchen zu messen.
Als sie den Kachelmann-Prozess als eine Art feministisch legitimierte Gross-Inquisitorin ausgerechnet in der «Bild»-Zeitung kommentierte, hatte sie zum Beispiel kein Problem mit der Vorverurteilung des Angeklagten, weil es offenbar in ihr ideologisches Bild passte. Die Retourkutsche kommt jetzt natürlich um so härter daher, nicht zuletzt, weil sie - auch wenn sie "straffrei" finanziell Sühne geleistet hat - eindeutig schuldig war. Sonst hätte sie sich ja nicht selbst anzeigen müssen.
Sie fällt so dem gleichen Phänomen wie der ehemalige Deutsche Bundespräsident Christian Wulff zum Opfer. Diesem konnten im Endeffekt ja nur Bagatellvergehen nachgewiesen werden und nun steht lediglich noch zur Debatte, ob er von der Bestechlichkeit eines Vertrauten gewusst hat. Selbst im schlimmsten Fall dürfte es hierbei um Summen gehen, über die in solchen Kreisen nur gegrinst wird.
Doch Wulff bewegte sich während seiner politisch aktiven Zeit auf einer solch enormen moralischen Flughöhe, dass schon kleinste Zweifel an seiner Integrität seine Triebwerke zum stottern und die ganze Fuhre zum Absturz brachten.
Sein christliches Pathos, seine moralin-saure Arroganz und Selbstgerechtigkeit boten seinen Kritikern beim kleinsten Anlass eine Zielscheibe, die fast nicht zu verfehlen war. Es war vermutlich einfacher, Wulff zu treffen, als auf dem Oktoberfest einem Besoffenen zu begegnen. Als dann Hinweise auf nicht ganz saubere Gefälligkeiten auftauchten war der Sack auch schon zu und er sein Präsidentenamt, seine politische Karriere und seine Ehefrau los.
Dass Uli Hoeness trotz der strafrechtlichen Relevanz und des grösseren Umfangs seiner Steuervergehen medial weniger gehässig als Alice Schwarzer angefasst wurde, liegt vermutlich weniger am Geschlecht, sondern daran, dass dieser niemals als eine moralische Instanz, jedoch als gewiefter Manager und Geschäftsmann gegolten hat. Die moralische Absturzhöhe eines Fussballmanagers, der vor allem Geld für seinen Club machen will, ist eindeutig tiefer als jene einer gesellschaftkritischen Feministin, die seit Jahrzehnten nach eigenem (und vieler anderer Anspruch) für eine bessere und gerechtere Welt kämpft.
Und nun kommt natürlich noch der Streisand-Effekt dazu, den Frau Schwarzer mit ihrem offenen Brief und ihrer Empörung über die Öffentlichmachung ihres "Fehlers" ausgelöst hat.
Beide vom Moralgaul geplumpst: Alice Schwarzer, Christian Wulff /


In den Zeiten des Internets ist der Versuch, eine Debatte zu ersticken, indem frau ein Statement mit dem Anspruch, diese quasi per Dekret zu beenden, nicht nur aussichtslos sondern kontraproduktiv. Vor allem, wenn dieses Statement immer noch vom Moralpferd hinunter gegeben wird und statt eigene Schuld einzugestehen die Botschafter verdammt. Das deutsche Satiremagazin Titanic lieferte denn auch schon eine hämische "Übersetzung" von Frau Schwarzers Stellungnahme.
Die menschliche Wahrnehmung ist auf Kontraste ausgerichtet. Erfährt man von jemandem, den man für schlecht hält, schlechtes, so ist dies ein Malen von schwarz auf schwarz. Wird einer, von dem man ohnehin annimmt, er sei mit allen Wassern gewaschen mit negativen Nachrichten konfrontiert, dann mag das Wut, Abneigung und den Ruf nach Strafe nach sich ziehen, aber nicht moralische Enttäuschung und das Gefühl, von einem Vorbild betrogen worden zu sein. Und dies ist die Krux, welche Christian Wulff teuer zu stehen kam. Auch Alice Schwarzer und leider auch vielen Dingen, für die sie absolut gerechtfertigt, tapfer und engagiert kämpft und gekämpft hat.
Darum eine Erinnerung an alle, die mit hohen ethischen Ansprüchen an die Welt unterwegs sind. Als erstes sollte man sich selbst tunlichst an diese halten und wenn doch mal ein Mist gebaut wurde, gilt es, diesen selbst, ohne Druck von Aussen zu regeln. Verpasst man dies und man wird erwischt, muss man möglichst schnell von dem hohen Ross absteigen, die Schuld eingestehen und Abbitte leisten, Strafe zahlen allfällige unethisch erzielte Gewinne spenden und keine faulen Ausreden (oh, ich habe die Million auf dem Konto ganz vergessen, uuups!) liefern. Auch wenn es dem Ego weh tut. Denn so wird aus einer moralischen Instanz wieder ein Mensch, dem verziehen und dem wieder Vertrauen geschenkt werden kann.
Wer sich hingegen am Moralgaul festklammert, obwohl dieser bereits bockt, als hätte er Cayenne-Pfeffer im Hintern, wird irgendwann mit der letzten Zeile eines berühmten Kinderreims Bekanntschaft machen... Und wenn Reiter oder Reiterin erst mal «plumps» gemacht haben, ist es verdammt schwer, aus dem Sumpf wieder auf den Sattel zu kommen.