Christian Wulff schreibt Geschichte - wieder einmal. Doch anders als am 30. Juni 2010, als er als jüngster deutscher Bundespräsident gewählt wurde, hätte er auf diese Premiere wohl gerne verzichtet. Erstmals steht ein früheres Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vor Gericht. Das Landgericht Hannover eröffnete am Dienstag gegen ihn das Verfahren wegen Vorteilsnahme im Amt.
Von den ursprünglichen Vorwürfen, die zu Wulffs Rücktritt am 17. Februar 2012 geführt hatten, ist nicht viel geblieben. Was als Affäre um einen Hauskredit und Ferienreisen bei Unternehmerfreunden begann, reduzierte sich im Zuge der langen und kostspieligen Ermittlungen auf 719.40 Euro (884.40 Franken) Übernachtungskosten plus Anteile an einem Abendessen. Dies soll der ebenfalls angeklagte Filmproduzent David Groenewold während des Oktoberfests 2008 in München bezahlt haben - laut Wulff ohne sein Wissen.
Dass sich der damalige niedersächsische Ministerpräsident wenig später bei Siemens-Chef Peter Löscher für Groenewolds Filmprojekt "John Rabe" eingesetzt hat, ist unbestritten - der Zusammenhang zwischen dem finanziellen Vorteil und Wulffs Einsatz dagegen nicht.
Die Staatsanwaltschaft hingegen sieht diesen Zusammenhang. Im Zuge der Ermittlungen hatte sie insgesamt mehr als 100 Zeugen vernommen, Wulffs Privathaus durchsucht und dicke Aktenberge gewälzt.
Christian Wulff - nicht mehr immun. (Archivbild) /


Auch für die Staatsanwälte steht daher einiges auf dem Spiel. Ihre immer wieder von Indiskretionen überschattete Ermittlungsarbeit wurde als überzogen kritisiert.
Amt, Frau und Reputation verloren
Ausgelöst worden war die Affäre im Dezember 2011 durch Berichte über einen Privatkredit für Wulffs Haus in Grossburgwedel, das mittlerweile einen neuen Eigentümer gefunden hat. Das anstehende Verfahren ist für ihn der vorläufige Höhepunkt eines langen Leidenswegs voller Niederlagen und Demütigungen. Der 54-Jährige hat im Laufe der Affäre Amt, Frau und Reputation verloren - nun will er den Freispruch erster Klasse.
Es geht um die Zukunft des CDU-Politikers, denn die Ermittlungen der Justiz blockierten bisher ein mögliches Engagement als Berater internationaler Unternehmen oder Organisationen. Wulff will nach seinem tiefen Fall wieder durchstarten.
Auch finanzielle Sachzwänge gibt es - die Anwälte kosten Geld. Von Wulffs umstrittenem "Ehrensold" von über 200'000 Euro (245'873 Franken) im Jahr als Ex-Präsident geht zudem der Unterhalt für seine geschiedene Frau und Tochter aus erster Ehe, aber auch für seine zweite Frau Bettina und den gemeinsamen Sohn Linus ab. Seit dem 7. Januar ist er von Bettina offiziell getrennt.
Zahlung zur Verfahrenseinstellung abgelehnt
Ein Angebot der Staatsanwaltschaft zur Verfahrenseinstellung gegen Zahlung von 20'000 Euro hatte Wulff im April abgelehnt. Der Grund: Das Angebot war an die Bedingung geknüpft, dass er die "Übernahme strafrechtlicher Verantwortung" akzeptiert.
Der Niedersachse will aber die volle Rehabilitierung. Geht das schief, droht ihm nach Paragraf 331 des Strafgesetzbuchs eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.