(nbs/sat/ire) Dass die Musik selbst am ESC nicht unbedingt im Vordergrund steht, ist nichts Neues. Für die Ausgabe 2015 haben politisch-ideologische Motive rund um den Gesangswettbewerb nochmals massiv an Bedeutung gewonnen. Wie nie zuvor waren bereits im Vorfeld des Contest Debatten um zahlreiche Teilnehmer entbrannt. Der letztjährige Sieg des Oberösterreicher Travestie-Künstlers Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst «im Namen der Toleranz» hat verschiedene Länder auf den Plan gebracht, mit ähnlichem Kalkül ihre Gewinnchancen im ehemals biederen Schlager-wettbewerb zu erhöhen.
«Lampedusa» auf Platz 2
In vielen Fällen ist das Kalkül nun auch aufgegangen: Italien platzierte sich mit dem Überlebenden-Chor «Lampedusa» und dem Stück «Underwater» auf Platz 2 und erinnerte eindrücklich an die Missstände in der EU-Immigrationspolitik.
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Das drittplatzierte Deutschland hatte mit «Phil&Pad» zwei bekennende Pädosexuelle am Start, um von der europäischen Öffentlichkeit mehr Toleranz zu fordern, «weil niemand sich seine sexuelle Neigung aussuchen kann».
Knapp dahinter klassierte sich Frankreich mit einer Combo aus einem homosexuellen Elternpaar, das zusammen mit Leihmutter und Kind vielstimmig «We are family» sang und einzig von Russland keine Punkte erhielt. Russlands Beitrag, gesanglich klar der beste, erhielt ebenfalls keine Punkte, wurde aber von den toleranten Westeuropäern bereits deutlich weniger ausgebuht als noch im Vorjahr. Israels eher besinnlicher Beitrag über den Bevölkerungsdruck im Siedlungsgebiet und den unästhetischen Ausblick auf die Betonmauer (Platz 5) fand ähnliche viele Stimmen wie Ungarns Ballade über das Idyll der Magyaren, bevor im 13. Jahrhundert die Roma zugewandert waren (Platz 6).
Schweiz weit abgeschlagen
Die Schweiz stand, nach Sebalsters Achtungserfolg im vergangenen Jahr, diesmal leider wieder weit abgeschlagen auf der Schlussrangliste: Die Idee, Lys Assia nach Conchita Wurst ebenfalls mit echtem Damenbart antreten zu lassen, wurde vom Europäischen Publikum wohl allzu leicht durchschaut. Dennoch darf die Schweiz irgendwie mitfeiern: «Nora», die Interpretin des Liechtensteiner Siegerliedes für mehr Toleranz gegenüber Muslimen, stammt ursprünglich aus der Schweiz und war erst im Vorjahr nach Liechtenstein geflohen, nachdem sie sich wegen der rassistischen Satiresendung «Giacobbo/Müller» in ihrem Heimatland nicht mehr sicher gefühlt hatte.
Erneut nur am Tabellenende fand sich auch der deutsche Komponist Ralph Siegel, der auf einer kleinen Nordsee-Insel eigens den unabhängigen Kleinstaat «Sylz» ausgerufen hatte, um dadurch auf Lebzeiten am ESC teilnehmen zu können.
Erstmals 60 Länder
Angetreten waren in diesem Jahr zum Wettbewerb mit vier Vorausscheidungen erstmals rund 60 Länder - rund zwei Dutzend davon zum allerersten Mal: Dies nach dem Auseinanderbrechen verschiedener Staaten in Osteuropa und den Sezessionen von Schottland, Sardinien, Katalonien und dem Baskenland. Auch wenn die rund 20 prorussischen Protektorate von der Krim über Odessa bis Transnistrien sich wacker gegenseitig Punkte zuschoben und alle in der ersten Tabellenhälfte landeten, war der ESC-Final 2015 in Linz einmal mehr ein grossartiger Abend im Zeichen der Völkerfreundschaft und der Toleranz.