Claude Fankhauser / Quelle: news.ch / Donnerstag, 4. Dezember 2014 / 08:17 h
Der afrikanische Kontinent wird von den Industrienationen als billige und unbegrenzt verfügbare Müllhalde benutzt. Hunderte Tonnen Elektroschrott werden tagtäglich, als «Gebrauchtware» deklariert, mit Containerschiffen in afrikanische Küstenstädte verschifft, wo die Wertstoffe - insbesondere Kupfer und Aluminium - in Handarbeit aufgebrochen und wiederverkauft werden. «Handarbeit» heisst hier, dass der Elektroschrott über offenem Feuer verbrannt wird, dass die dabei entstehenden giftigen Dämpfe von den meist minderjährigen Arbeitern eingeatmet werden, dass die Umwelt für Generationen durch Schwermetalle und Dioxine belastet wird. Natürlich ist es zynisch, dass wir die Rohstoffe erst unter menschenunwürdigen Bedingungen in Afrika abbauen lassen, um sie später dann, nachdem wir mit ihnen im Westen Wertschöpfung generiert haben, wieder am selben Ort «entsorgen» lassen. Wir schaffen es so, die Menschen in Afrika mit denselben Rohstoffen nicht nur einmal, sondern zweimal auszubeuten, ihre Gesundheit gleich doppelt aufs Spiel zu setzen. Die Krönung des Zynismus ist dann erreicht, wenn dies auch noch unter dem Deckmantel von Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Entwicklungshilfe getan wird.
Zynisch ist es auch, wenn ein schwerreicher Musiker zum vierten Mal denselben jämmerlichen Song aufnimmt, um sich damit als Weltgewissen aufzuspielen. Schon in der Erstauflage 1984, als damit Äthiopien vor dem Hungertod gerettet werden sollte, schwankte das Liedchen von den armen Afrikanern, die nicht wissen, ob Weihnachten ist, irgendwo zwischen nur peinlich und offen rassistisch. Spätestens in der vierten Iteration und dreissig Jahre später aber, während denen Bob Geldof geadelt wurde und Bono Vox vor lauter Wohltätigkeit merklich aus dem Leim ging, müsste auch dem vernageltsten Gutmeiner klar sein, dass hier primär Selbstbeweihräucherung zelebriert wird. Ein Glück, dass heute im Gegensatz zu 1984 kaum mehr (in Afrika entsorgbare) CDs produziert werden und sich dieser akkustische Müll heutzutage mit dem Löschbefehl verhältnismässig umweltfreundlich aus der Welt schaffen lässt.
Dass sich der Westen nicht nur mit technischem und musikalischem, sondern nun auch noch mit medizinischem Schrott in Afrika profilieren will, entspricht dieser zynischen Logik. Wobei «Logik» in Zusammenhang mit Homöopathie schon eine recht gewagte Wortwahl ist: Im Oktober 2014 bestiegen vier Ärzte ein Flugzeug nach Liberia, mit dem Anspruch, die Menschen dort von Ebola zu heilen. In ihren Reiseapotheken hatten sie nichts weiter dabei als Zuckerpillen.
Basierend auf den Lehren von Samuel Hahnemann (1755 - 1843) und seither unverändert propagiert, geistert die Homöopathie als «gesamtheitliche Alternativmedizin» durch den Jahrmarkt pseudowissenschaftlicher Heilsversprechen. Hahnemann lehnte die Vorstellung, Krankheiten hätten materielle
Ursachen, als «Unding» ab und führte Krankheiten auf «geistartige Verstimmungen» des «Lebensprinzips» zurück. Seine «Heilmethode» orientiert sich am «Ähnlichkeitsprinzip», welches bedeutet, dass wenn man beispielsweise unter Augenbrennen leidet, man einfach eine Substanz nehmen soll, die ebenfalls Augenbrennen verursacht, hier also Zwiebelsaft. Die Informationsessenz der Zwiebel, vielhundertfach in Wasser verdünnt und «verschüttelt», würde ins «Gedächtnis des Wassers» aufgenommen und bei Bedarf dann von diesem an den kranken Körper weitergeleitet. Woher das kluge Wasser weiss, dass es jetzt gefälligst nur die tränenauslösenden Informationen der Zwiebelsaftmoleküle speichern und weitergeben soll und nicht etwa die Eigenschaften der hunderten von anderen Molekülen, die sich ebenfalls im Zwiebelsaft befinden, ist unklar. Unklar auch, was an einer Heilmethode «ganzheitlich» sein soll, bei der ausschliesslich die Symptome einer Krankheit behandelt werden. Klar ist einzig, dass sich die Bakterien, welche die Augenreizung wahrscheinlich verursacht haben, vom ähnlich wie sie wirkenden Stoff in zighundertfacher Verdünnung herzlich unbeeindruckt zeigen.
Auch heute noch muss man gebetsmühlenartig wiederholen, dass in Doppelblindstudien nie auch nur der geringste Hinweis für die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente aufgezeigt wurde. Das ist für eine bald 200 Jahre alte Heilmethode ein trauriges Fazit.
Mit vedünntem Arsen gegen Ebola: Genau das, was Afrika NOCH brauchte. /


Noch trauriger ist, dass Scharlatanmedizin wie die Homöopathie hierzulande in der medizinischen Grundversorgung verankert ist, obwohl jeglicher Wirksamkeitsbeleg fehlt und obwohl dieser Wirksamkeitsbeleg auch nicht eingefordert wird. Wirklich erschütternd ist aber die Tatsache, dass es Leute gibt, die meinen, in Afrika habe man auf die erfolglosen weissen Zauberer gewartet. Denn wenn Magie und Zaubertränke in der Medizin funktionieren würden, müsste es wohl am ehesten der afrikanische Kontinent sein, wo laufend medizinische Durchbrüche gefeiert würden.
Im Weltbild des Homöopathen schaut man sich die Krankheit Ebola an und stellt fest, dass sie die Blutgefässe auflöst, worauf man von innen her verblutet. Man sucht nun nach einen Stoff, der dasselbe anstellt und wird hier im Falle von Arsen fündig. Aber keine Sorge: Sie könnten völlig gefahrlos literweise einer hochpotenzierten Arsen-Tinktur trinken, ohne dass Ihre Venen zu einem blutigen Brei zusammenfallen würden, denn die homöopathische Verdünnung bewirkt, dass nur noch ein Wirkstoff-Molekül in einem Ozean von Wasser gelöst ist. Wenn Sie mit offenem Mund im Mittelmeer herumschwimmen, ist die Chance, ein Arsen-Atom zu verschlucken, weit höher, als wenn sie literweise homöopathische Arsen-Tinktur trinken würden. Allenfalls würden Sie, infolge des Alkohols in der Tinktur, einen mächtigen Kater bekommen; eine Arsen-Vergiftung ist aber völlig ausgeschlossen.
Selbstverständlich muss man den «Homöopathen ohne Grenzen» lauterere Absichten unterstellen als den europäischen Schrotthändlern. Aber gut gemeint ist halt immer noch das Gegenteil von gut gemacht (habt ihr das gehört, ihr Bobbonos dieser Welt?). Dieser Meinung waren auch die liberianischen Behörden, die den selbsternannten Heilsbringern den Zugang zu Ebola-Patienten kategorisch verwehrten. Denn obwohl hierzulande das Bild des weltfremden, abergläubischen Afrikas vorherrscht, waren die Einwohner Liberias alles andere als erfreut darüber, dass europäische Wunderdoktoren mit Zuckerpillen im Handgepäck eine mörderische Seuche kurieren wollten.
Leiter der Expedition war der kalifornische Arzt Richard Hiltner; dieser praktiziert auch Irisologie und medizinische Astrologie, neben denen die Homöopathie schon fast rational wirkt. Er bedauert, dass mit dem Eingreifen der Behörden «diese einmalige Gelegenheit, die Wirksamkeit von Homöopathie zu beweisen, verpasst wurde». Und auch wenn man Hiltner lautere Absichten unterstellt, auch wenn man davon ausgeht, dass er tatsächlich Heilung bringen und nicht einfach bloss als medizinischer Messias in die Geschichte eingehen will, auch dann sollte die Frage erlaubt sein, warum ausgerechnet Afrika zum Laboratorium werden soll, in dem die Wirksamkeit westlicher Utopien erprobt wird. Anstatt seine Visionen mit einer lebensgefährlichen Seuche und auf einem sonst schon gebeutelten Kontinent auszutesten, wäre es sinnvoller, Hiltner würde endlich hier im Westen den Nachweis erbringen, dass seine Quacksalberei tatsächlich wirkt. Denn immerhin wird alleine in Europa ein Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro mit homöopathischen «Heilmitteln» erwirtschaftet. Mit dieser Zahl im Hinterkopf sollte Europa nicht nur prädestiniert für den Wirksamkeitsnachweis sein, es sollte hier auch, dank der Homöopathie, im Grunde genommen schon seit Jahrzehnten keine Krankheiten mehr geben, welche die ach so unganzheitliche konventionelle Medizin irrtümlicherweise Bakterien oder Viren zuschreibt. Noch überzeugender wäre der Wirksamkeitsbeweis freilich, liesse sich Hiltner selbst mit Ebola anstecken, um sich danach ausschliesslich mit homöopathischen Mitteln zu heilen. Guru Hahnemann hat seinerzeit Selbstversuche unternommen; bei seinen Jüngern fehlt es offenbar am Mut - oder am konsequenten Glauben an die Wirksamkeit seiner Methode.
Das Problem des Technikmülls ist noch offen, eine Lösung in weiter Ferne. Aber es gibt Hoffnung: Immerhin hat Afrika schon viermal Bob Geldof überstanden und die westlichen Zauberer hat es - vorerst - abwehren können. Auch in Afrika ist man also nicht vorbehaltlos für jeden Schrott dankbar, den wir rüberschicken.