Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Dienstag, 12. Mai 2015 / 11:09 h
«Die Schweizer Abgeordneten haben keine Lobbyisten, sie sind Lobbyisten»...war früher ein Lehrsatz in der Politologie als diese noch Politik und nicht nur Statistiken vermittelte. Als ehrenamtlich gewählte Menschen (Erinnern Sie sich? Wir haben ein Milizsystem) waren schweizerische Parlamentarier immer auf Zusatzeinkommen angewiesen. Also war es völlig normal, dass der Gewerkschaftsboss, der Bauernsekretär, der Unternehmer, der Uniprofessor, der Chefarzt, der Chefredaktor aktiv in der Politik mitmischten. Dies war transparent, offen und dreist: Vor allem wenn der Bauernsekretär die Kommission für Landwirtschaft oder der Chefarzt die Kommission für Arzneimittel präsidierte. All dies war nicht gerecht und einige Parlamentarier waren immer «gleicher» als andere, doch immerhin: Politik war damals noch Saft, es gab ein Bewusstsein für Gerechtigkeit und Unrecht. Immerhin: Die Schweiz wurde noch gestaltet, nicht nur verwaltet und dermassen von Geld regiert wie heutzutage. Die grossen sozialen Errungenschaften kamen nur in diesen Konstellationen zustande. Es gab keine «Herrschaft des Niemands» wie heute. Wurde Christiane Brunner 1993 nicht gewählt, stürmten die Frauen den Bundesplatz und brachten eine Bundesrätin Dreifuss durch (im Nachhinein wohl ein Fehler - Stichwort Bundesratsprotokolle, Stichwort Krankenkasse - , aber egal...).
Heute kann Bundesrat Schneider-Ammann den «Bundesrat fürs Grobe» spielen, allen Diktatoren die Hand schütteln und mit ihnen Freihandelsverträge abschliessen, ohne dass er auch nur ansatzweise ins Sperrfeuer der Kritik kommt. An ihm perlt alles ab, es ist unglaublich, was sich der Politiker alles leisten kann. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Politik in Medien und Wissenschaft nur noch mit Zahlen und nicht mit Verantwortung erfasst wird. Hitzig wird es nur noch in Abstimmungskämpfen, ansonsten ist «cool» das Synonym für Politikverdrossenheit. Die Wahlen werden von den Nichtwählern gestaltet, was wiederum vor allem der CVP und FDP zugute kommt.
In allen Parteien macht sich ein ununterscheidbarer Technokratenpolittypus breit, dem die Parteizugehörigkeit eigentlich egal, dafür die eigene Karriere und das Amt umso wichtiger sind.
Im homogenisierten, pasteurisierten und entpolitisierten Medienalltag des 21. Jahrhunderts sehen sich deshalb vor allem die jüngeren Parlamentarier und Parlamentarierinnen alle ähnlich. Dieser Uniformlook: Business, Perlenkette, Krawatte, dunkler Anzug, anständige Schuhe, nettes Blüschen ist nicht einfach nur eine äussere Form, sondern sagt einiges über den Grad mentaler Anpassung aus. Auch über die Nähe von Bank und Politik: Oder können Sie etwa einen Politiker von einem Bankangestellten noch unterscheiden? Von weitem gesehen, gibt es nicht mal einen Unterschied zwischen Mann und Frau.
Branding, Coaching, Handling, Communicating ...das Money-Newsspeak hat sich längst auch in der Schweiz etabliert. Da ist man dann für jeden Politiker und jede Politikerin dankbar, bei denen man in den Adern noch Blut und nicht nur warme Luft vermutet. Grundsätzlich aber gilt: In der Wandelhalle sind Politisierende nach Parteien ununterscheidbar, aber auch kein wirklicher Unterschied zwischen Lobbyisten und Politikern auszumachen.
Wem ist Christa Markwalder wohl auf die Füsse getreten, dass ausgerechnet ihre Geschichte an die Öffentlichkeit geraten ist? /


Dass dieser Einheitslook noch nicht längst Gegenstand kritischer Demokratiebetrachtung war (ausser hier), sagt alles aus über die politologische Blindheit betreffend Form, Prozess, Institutionen und Akteuren. In der Wandelhalle erkennt man nur die Journalisten auf den ersten Blick. Um meine Kollegen und Kolleginnen nicht zu verärgern, überlasse ich Ihnen die Formulierung der Distinktionsmerkmale.
Machtverhältnisse, Interessenbindungen, Beziehungsfilz, Ämterschachereien werden also durch Ähnlichkeit vertuscht. Die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen versuchen schon seit Jahren, die Käuflichkeit der Schweizer Parlamentarier in den bürgerlichen Parteien zu skandalisieren. Ohne Erfolg. «Alle machen das» ist das Smartevote-Börsenargument - also ist es auch richtig. Die Verblödung von Kategorien kennt eben keine Unterscheidung.
Zudem: In der Schweiz steht Geldverdienen über jedem anderen Wert, was soll denn verwerflich daran sein, von einer PR-Agentur nicht nur eine Reise, einen Vorstoss, einen (oder zwei, drei, sechs?) Verwaltungsratssitz(e), einen anderen Politposten etc. vermittelt zu kriegen? Meist fliesst ja kein direkter Cash, sondern die Beziehungen allein sind mehrere Hunderttausende wert. Mediale Kritik äussert sich dann immer unspezifisch, beispielsweise indem «WWF» und «Novartis» unter dem Oberbegriff «Lobby» gleichgesetzt werden. Dies ist ungefähr so wie wenn ich mit Roger de Weck zusammen unter dem Oberbegriff «Medienmacher» fungieren würde...Erbsenzähler dieser Welt vereinigt Euch!
Zur Causa Markwalder gäbe es also einiges zu sagen, das weiter reicht als allein das Stichwort «Lobby». Interessant aber auch die Frage: Wem ist Christa Markwalder wohl auf die Füsse getreten, dass ausgerechnet
ihre Geschichte an die Öffentlichkeit geraten ist? Nicht, dass ich die sympathische Parlamentarierin in irgendwelcher Form in ihrer verwerflichen Rolle in der Kasachstanaffäre verteidigen möchte, aber dass nur sie und nicht die, meist mit viel gröberem Geschütz auffahrenden bürgerlichen Männer, im Lichte der Lobby-Affäre steht, ist erstaunlich. Welche Rechnung hat Markwalder nicht bezahlt, mit welchen Intriganten hat sie sich - bewusst oder unbewusst - angelegt? Nochmals: FDP- und CVP-Männer plus eine Handvoll Grünliberale, Sozialdemokraten und SVP (die verfügen nicht über allzuviele Lobbyisten, da jene einen Mindeststandard an Diskretion und Manipulation, gemischt mit etwas Intelligenz brauchen) treiben es bunter, korrupter, geldgieriger, offensichtlicher und ohne irgendwelche Konsequenzen. Wo hat Christa Markwalder den entscheidenden Fehler begangen? Verstehen Sie mich nicht falsch. Kasachstan war nicht nur ein Fehler, sondern wahrscheinlich auch Gegenstand bewusster Vorteilnahme in einem Strafprozess. Andererseits: Kasachstan ist überall, weshalb nun ausgerechnet und ausschliesslich die mediale Thematisierung von Christa Markwalder?
An der
Causa Markwalder stimmt Einiges nicht. Hier lohnt es sich, weiterzubohren. Nicht zuletzt auch wegen den bürgerlichen Frauen. Denn anders als ihre männlichen Parteikollegen, stehen sie in Krisensituationen immer völlig allein da. Deshalb müsste aus der
Causa Markwalder nun so schnell wie möglich eine
Causa Burson Marsteller AG (CVP-Präsident Darbelleys Wandelhallenkarte), eine
Causa FDP und schliesslich eine
Causa Männerbünde werden. Denn egal wie laut die bürgerlichen Frauen in den letzten Jahren jubelten und egal wieviele Frauen sich mittlerweile perfekt wie Männer ohne Schwanz benehmen: Kommt es hart auf hart, bleiben Macht, Kapital, Beziehung, Einfluss, Definition, Einschüchterung, Gewalt immer unter sich und mit Vorliebe in männlicher Gesellschaft...