John Defterios, CNN International / Quelle: news.ch / Mittwoch, 13. Mai 2015 / 09:50 h
Die gute Nachricht vorweg: Das erste Mal seit fünf Jahren sehen die Analysten der Weltbank keine Notwendigkeit, ihre Konjunkturprognose nach unten zu korrigieren. Seit der weltweiten Finanzkrise 2009 hat sich die Vorhersage konjunktureller Turbulenzen allerdings auch nicht gerade als allzu verlässlich erwiesen.
«Wir erwarten zwar keine Schockmomente, doch vor einem Jahr hat auch keiner den (Preissturz des) Ölpreis kommen sehen», so Bertrand Badré, der Weltbank-Finanzchef in Washington.
Laut der Prognose soll sich die Weltwirtschaft weiter erholen: Erwartet wird eine sogenannte Annäherung, bei der das Wachstum in den USA ein wenig nachliesse, während sich die Konjunktur in der Europäischen Union indes etwas erhole. Politische Gefahrenherde und instabile Regionen, beispielsweise die Zukunft Griechenlands, der Russland-Ukraine-Konflikt oder die Frage um den Jemen, hätten kaum Einfluss und könnten von der Geschäftswelt grossräumig umschifft werden.
«Neben den geopolitischen Themen wie Griechenland sind der Ölpreis und die Geldpolitik die zwei wichtigsten Faktoren», sagte Badré während einer Plenumsrede beim jährlichen Symposium in St. Gallen.
Die Billionen-Dollar-Frage in meinem Forum lautete, wie die Investoren auf der ganzen Welt reagieren werden, falls und wenn die US-Notenbank Fed beschliesst, die Zinsen zu erhöhen - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Zinsen in Europa gerade einen historischen Tiefstand erreicht haben.
Momentan, so die Ansicht der Experten in der Schweiz, scheint es eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Marktes und denen der US-Notenbank Fed zu geben. Dieser Zustand trägt zur allgemeinen Verunsicherung bei, die wir heute erleben können - allen voran in den Schwellenländern, deren eigenes Schicksal stark von der amerikanischen Nachfrage und dem US-Dollar abhängt.
Martin Richenhagen, Chairman, President und CEO der AGCO Corporation, einem weltweit tätigen Hersteller von Landmaschinen mit Hauptsitz in Duluth, Georgia, zeichnete das Bild eines heftigen Rückgangs im landwirtschaftlichen Sektor, nachdem es bei den Rohstoffpreisen zu einer Korrektur gekommen ist.
«Südamerika steht nicht allzu gut da. Ich hoffe, dass unser Sektor inzwischen die Talsohle erreicht hat. Der Bereich stürzte 2014 um zehn Prozent ab und dieses Jahr um weitere 20 Prozent. Das ist ein heftiger Schlag, nachdem wir jahrelang ziemlich verwöhnt wurden», erzählt Richenhagen.
Die Expertenrunde sprach gar von «einer Rückwärts-, keiner Vorwärtsbewegung» in vielen Schwellenländern, beispielsweise in Brasilien, Indonesien und Südafrika, nachdem man dort wichtige Strukturreformen aufgeschoben hatte, als die Wirtschaft noch florierte.
In den Entwicklungsländern wird viel vom grössten Schwellenmarkt China abhängen, wo die Wirtschaft nach den extrem guten Tagen der vergangenen beiden Jahrzehnte nun wohl eine Konjunkturabkühlung erfährt. Statt eines Wachstums von neun Prozent, oft als Richtwert für China gesehen, erwarten Investoren wie die Government of Singapore Investment Corporation (GIC) inzwischen nur noch einen Anstieg in der Grössenordnung von etwa sechs Prozent.
«Die Arbeitsmarktsituation sowie die gesellschaftliche Instabilität bergen die grössten Gefahren.



CNN Korrespondent John Defterios ist Experte für Wachstumsmärkte mit Sitz in Abu Dhabi. / 

Wir gehen davon aus, dass das Wachstum in China auf bis zu sechs Prozent sinken kann und die Führung Chinas damit umgehen könnte», so S.G. Lim, President von GIC Private.
Ähnlich wie an der New Yorker Wall Street, an der durch die niedrigen Zinssätze ein Aktienboom befeuert wurde, zeigt sich die Situation in Asien. Lim und andere Experten äusserten ihre Bedenken über die Börse von Schanghai, an der es in den letzten Monaten zu rasanten Kursanstiegen mit Zugewinnen von bis zu 80 Prozent gekommen ist, während gleichzeitig die Armut ins Unermessliche steigt.
Paul Polman, CEO des Konzerns Unilever, rief die weltweite Gemeinschaft dazu auf, nicht mit einem Wachstum zufrieden zu sein, das vor allem künstlich von der Geldpolitik genährt wird: «Wenn man die Billionen Dollar bedenkt, die durch den extremen Lockerungskurs in den Markt gepumpt wurden und dann das Ergebnis betrachtet, handelt es sich wohl um eine der schlechtesten Geschäftsentscheidungen, die man hatte treffen können», so Polman.
Die zweite Hälfte des Jahres 2015 ist für die langfristige strategische Ausrichtung entscheidend. Einige Treffen von Staats- und Regierungschefs stehen noch bevor, auf denen weitere Klimaziele formuliert werden sollen. Gerade die Klimavereinbarungen haben sich in der Vergangenheit als extrem schwierig herausgestellt und einen Keil zwischen die Industrie- und die Entwicklungsländer getrieben.
Die Länder suchen zudem nach einem neuen Regelwerk, nachdem die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 ausgelaufen sind. Weltbank-CFO Bertrand ist der Meinung, dass das nächste Ziel die ganzheitliche Bekämpfung der Armut sein sollte.
Um dies erfüllen zu können, müssten Millionen Jobs geschaffen werden, vor allem im Nahen Osten, Afrika sowie Südasien, wo die Geburtenraten am höchsten sind.
«Zwischen dem heutigen Tag und dem Jahr 2030 müssten wir also 600 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Glauben Sie, das ist möglich? Die Antwort lautet natürlich nein», so Bertrand. Er fügte aber schnell hinzu: «Wir müssen jedoch der Verlockung widerstehen, zu glauben, dass wir sowieso nie an diesen Punkt gelangen werden.»
Aus diesem Grund, so Unilevers-Chef Poleman, sollte ein gesamtheitlicheres Konzept für Wachstum Vorrang haben - ein Wunsch, der bei der Zuhörerschaft, die aus internationalen Topmanagern sowie Studenten bestand, mit tosendem Applaus aufgenommen wurde.
Wollen wir hoffen, dass sich die politischen Entscheidungsträger der Länder dieses Jahr der gleichen Themen annehmen wie die Experten in St. Gallen.
CNN Korrespondent John Defterios ist Experte für Wachstumsmärkte mit Sitz in Abu Dhabi. Er moderiert die wöchentliche CNN Wirtschaftssendung ,CNN Marketplace Middle East' (donnerstags, um 17.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit) http://edition.cnn.com/specials/middle-east/mme.