Valentin Abgottspon / Quelle: news.ch / Donnerstag, 8. Oktober 2015 / 13:41 h
«Denkst du, wir Katholiken/Christen/Religiöse können nicht selber und frei denken?!» werde ich bisweilen gefragt. Die vorwurfsvolle Frage kommt, weil wir uns selber als «Freidenkerinnen und Freidenker» bezeichnen. Oder weil wir die Kampagne «Liebe Katholiken, Bischof Huonder tritt nicht aus, wie steht's mit euch» ins Leben gerufen und auf Plakate gebracht haben.
Ich habe bereits zwei Male von (zwei verschiedenen) römisch-katholischen Priestern gehört: «Aber ich bin ja auch ein Freidenker!». Einmal sogar an einer Podiumsdiskussion. Die korrekte Antwort lautet: «Nein, bist du nicht! Du kannst frei denken. Aber du bist kein Freidenker.»
Aber lasst uns etwas ausholen und denken wir zuerst über die Begriffe nach: Ist es nicht anmassend, dass wir uns «Freidenkerinnen und Freidenker» nennen? Mag sein. Tatsächlich meinen wir damit aber nicht, dass den Nicht-Freidenkern (und von mir aus den Nicht-Atheisten und Nicht-Agnostikerinnen) sämtliches freie Denken unmöglich sei. Selbst fundamentalistische Piusbrüder oder dogmatische Musliminnen können bisweilen frei denken, doktrinäre Diskordianer sowieso. Der Begriff «Freidenker» ist historisch gewachsen und bezeichnet Leute, welche ihre Werte nicht mit Jenseits oder Göttern begründen und welche ihre Erkenntnisse an Vernunft und Empirie orientieren statt an heiligen Schriften. Sie setzen sich im Grossen und Ganzen für eine Trennung von Staat und Kirche/Religionsgemeinschaften ein. Freidenker sind zumeist Humanisten, welche gottlos gut sein wollen und weltliche Werte vertreten.
Ich nehme an, die meisten werden zustimmen: Nicht jeder Mensch, der «sozial» und «demokratisch» ist, wird automatisch ein «Sozialdemokrat» sein. Ich postuliere: Nicht jeder Mensch, der (einigermassen) «frei» ist und (einigermassen rational) «denken» kann, ist auch ein «Freidenker».
Freilich: Es wird auch hie und da Schindluder mit dem Begriff getrieben: Einige Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und dergleichen bezeichnen sich auch gerne mal als «Freidenker». Sie meinen damit oft etwas wie «abseits vom Mainstream» und «konträr». Viele vergessen dann aber den zweiten Teil des zusammengesetzten Wortes, nämlich das «denken». Aber: Dass es Leute gibt, welche sich als «Freidenker» bezeichnen und dies (gemäss meinem Begriffsvorschlag) nicht sind: Das müssen und können wir aushalten. Wir haben halt eben keinen Papst und keine Freidenker-Inquisition. (Die katholische Inquisition heisst heute übrigens Glaubenskongregation.) Wir wollen und können den Begriff «Freidenker» nicht markenrechtlich schützen lassen. Wir werden niemals Zertifikate verteilen. Und wir müssen auch niemals irgendwelche Menschen aus der Freidenkerei exkommunizieren.
Ich bestehe aber darauf: Ein gewöhnlicher Katholik ist in meinem Sinne letztlich eben genau kein Freidenker, da er gewisse Dinge eben nicht hinterfragen und ablehnen kann. Geht er zu weit hinein in die Freiheit, hört er auf, Katholik zu sein. Obwohl das Universum Milliarden Jahre alt ist und es Zillionen Sonnen gibt: Vor etwa 2000 Jahren ist ein Erlöser gekommen und hat uns rechtgeleitet. Und obwohl es Mode geworden ist, sich als «Katholik light» zu geben, also Katholizismus minus Hierarchie, minus Papst, minus Katechismus: Gewisse Dinge wären für einen Katholiken(tm) eigentlich nicht verhandelbar. Aber auch mit dem Begriff Katholik wird ja viel Schindluder getrieben.
Folie zum Thema Frei Denken aus einem Vortrag des Autors an einer pädagogischen Hochschule. /


Viele der Basis-Katholiken, welche ihre Kirche für sehr reformierbar halten, verwechseln sie halt mit der reformierten Kirche. Ich halte das «ecclesia semper reformanda» nicht für komplett falsch, aber im Grunde eben doch übertrieben. Ein Papst wird wohl bis auf Weiteres nicht zugeben wollen, dass Ethik wichtiger als Religion ist. (Wie das z.B. der aktuelle Dalai Lama zugab und wie es die Unitarier schon lange wissen). Gewisse Dinge bleiben unverhandelbar. Dogma halt. Frei denken dürfen Religiöse nur bis an eine Grenze. Wenn sie diese überschreiten, dann hören sie eben auf, im landläufigen Sinne religiös, christlich, katholisch oder wasweissich zu sein. Dann sind sie vielleicht noch in einem esoterisch-abseitigen, akademischen Sinne à la Barth, Bonheoffer oder wieauchimmer «spirituell-religiös». Mit dem, was die meisten unter Religion verstehen, hat das dann aber fast gar nichts mehr zu tun. Daher halte ich die Mehrzahl der Unitarier übrigens im engen und weiten Sinne gar nicht mehr für Christen.
Fast alle Religiösen meinen es ja nicht böse. Sie denken, dass sie frei denken. Sie bemühen sich, ihr Wertesystem sauber zu halten. Sie versuchen, zu hinterfragen. Es ist aber so, dass es bei Anakin Skywalker alias Darth Vader, Bergoglio alias Franziskus oder Mairon alias Sauron genau gleich war: Sie meinen es gut. Sie woll(t)en nicht böse sein. Sie dachten, ihre Denk- und Handlungsgebäude wären auf saubere, stabile Fundamente errichtet. Trotzdem hält, was hinten rauskommt, einer zeitgemässen ethischen Betrachtung nicht stand.
Ceterum censeo: Homosexuelle bzw. LGBTI, welche «frei» denken, dass man als praktizierender, auch körperlich liebender Anderssexueller in der römisch-katholischen Kirche gut aufgehoben sei, erinnern mich an Schwarze, welche im Ku-Klux-Klan Mitglied sein möchten und ans Stockholm-Syndrom. Für mich ist das ähnlich absurd wie eine Feministin in der EDU. Ich verstehe es einfach nicht. Aber ich muss ja nicht alles verstehen. Darüber nachgedacht habe ich jedenfalls. Aber dazu schreibe ich vielleicht irgendwann, andersawann...
Da ist das «frei» denken dann meist ein «beliebig» und «unklar» denken geworden.
Ich wünsche mir, dass noch viele Leute durchs freie Denken zum Freidenken kommen.