von Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 18. Januar 2010 / 15:00 h
News.ch: Bei den letzten Anhörungen der Bankenbosse vor dem Senatsausschuss wurde offensichtlich, dass kein Schuldbewusstsein irgend einer Art für die Krise vorhanden ist. Ist das auch bei der «Bodenmannschaft» der Fall oder hat man dort realisiert, dass viele NUR wegen der Staatsinterventionen noch einen Job haben?
Jens Korte: Nun, die New Yorker Börse wird natürlich immer gerne als Kulisse genutzt, wenn es etwa um die gigantischen Bonuszahlungen geht. Doch die Jungs auf dem Parkett (und es sind überwiegend Männer) haben nicht annähernd so gut verdient. Ganz im Gegenteil die Stunden des Parketthandel sind gezählt. Und bei Goldman Sachs werden sie kaum in den Handelsraum gelassen.
News.ch: Bis vor 2 Jahren schien Aussenstehenden die USA und die Wall Street eine symbiotische Einheit zu sein. Seit der Krise glaubt man Dissonanzen zwischen Volk und Finanzszene wahrzunehmen. Ist hier wirklich ein grosser Bruch erfolgt oder werden die Wunden bald wieder geheilt sein?
Jens Korte: Es gab gerade erst vergangene Woche Freitag einen Protest vor der Börse. Um 4 Uhr Nachmittags. Also als eigentlich schon fast alle ins Wochenende gefahren sind. Es waren auch nur etwa 100 Demonstranten. Das sagt einiges. Das heisst aber nicht, dass der Zorn auf der Strasse nicht gross ist. Und ich glaube schon, dass das Image der Banken nachhaltig gelitten hat. Und das wird auch nicht besser, wenn Banken demnächst die Gebühren anheben werden, um damit etwa auf Strafsteuern zu reagieren.
News.ch: Wird es der Regierung gelingen, die Banken in gewisse Schranken zu weisen? Oder ist die Lobby auf dem Hill zu einflussreich, so dass alle Versuche in Kongress und Senat zum Scheitern verurteilt sind?
Jens Korte: Sie müssen sich doch nur ansehen, wie das Wirtschaftsteam von Barack Obama zusammen gestellt ist. Das sind überwiegend Leute, die starke Wurzeln etwa zu Goldman Sachs oder der Citigroup haben. Eine richtige Finanzmarktreform gab es bisher ja auch noch nicht. Es sieht also ganz danach aus, dass die Lobbyarbeit der Wall Street Früchte trägt.
News.ch: Die sehr hohe Geldmenge im Markt erlaubt ja schon wieder gewisse Spekulations-Aufblähungen und manche Doom-Sayer prophezeihen schon die nächste Blase. Wie betrachten Sie das Risiko? Hat die Wall-Street gelernt oder ist sie verflucht zur ewigen Wiederholung?
Jens Korte: Das liegt in der Natur der Sache. Wenn Politiker sagen, sie wollen Blasen verhindern, dann müsste man den Markt abschaffen. Boom- und Rezessionsphasen gehören nun mal zu dem Kreislauf dazu. Es war eher schädlich, dass künstlich (etwa von Seiten der Notenbank) versucht wurde, das Wachstum zu retten. Dadurch wurde die Krise letztendlich nur noch grösser. Und wenn sie die bisherigen Massnahmen betrachten: die grossen Banken sind noch grösser und systembedrohender geworden als vor der Krise. Und ja, es könnte bereits wieder eine neue Blase entestehen.
News.ch: Die USA haben die Jagd nach Steuerflüchtlingen eröffnet. Gleichzeitig gibt es in den USA selbst Staaten die für ausländisches Schwarzgeld paradiesisch sind (wie z.B. Delaware).
Jens Korte berichtet für das SF von der Wall Street. /


Zeichnet sich hier auch ein Wandel ab oder wird dies einfach als Asset betrachtet, das nicht freiwillig aufgegeben wird?
Jens Korte: Der Blick richtet sich rein nach Aussen. Ist doch politisch auch viel attraktiver. Oder wollen sie etwa Spenden und Wählerstimmen aus Delaware gefährden?
News.ch: General Motors wird unterdessen Government Motors genannt. Wie wird in Finanzkreisen diese Verstaatlichung und der Neustart dieses Unternehmens wahrgenommen? Dies auch im Zusammenhang mit den Staatshilfen für die Banken.
Jens Korte: Na ja, die Finanzwelt war schon etwas sauer, dass die Banken zur Kasse gebeten werden und Autokonzerne, die ja auch Staatsgelder bekommen haben, nicht. Das sagt die Wall Street. Das ist nicht meine Logik. Aber die US-Autoindustrie ist marode (mit eingeschränkter Ausnahme von Ford). Diese ganzen milliarden- bzw. schon billionenschweren Rettungsaktionen (für Detroit und Wall Street) sind letztendlich stark marktverzerrend. Was das für Langfristkonsequenzen hat, können wir noch gar nicht abschätzen.
News.ch: Könnte der in der Folge des Crashes von 1929 eingeführte Glass-Steagall-Act, der die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken vorschrieb und 1999 erst aufgehoben wurde, wieder kommen? Seit dessen Aufhebung erleben wir bereits den zweiten Crash. Oder hat ein solches Ansinnen keine Chance?
Jens Korte: Es gibt diese Diskussion. Aber es können noch Jahre vergehen, bis wir hier Klarheit und möglicherweise eine Wiedereinführung bekommen.
News.ch: Hat der Glaube, dass hohe Bonuszahlungen auch hohe Qualität ergeben, an Popularität verloren, nachdem der Crash scheinbar das Gegenteil bewiesen hat?
Jens Korte: Es wird versucht, Zeit ins Spiel zu bringen. Also dass die Leute länger etwa bei einer Bank bleiben müssen, bevor sie die Optionen einlösen dürfen. Aber für jede neue Regel findet sich auch mindestens genauso schnell eine Umgehung. Das sind ja clevere Leute, die in der Branche arbeiten.
News.ch: Was für einen Einfluss hatte der Crash auf das Leben in New York?
Jens Korte: Sie brauchen kaum noch Reservierungen für ihr Lieblingslokal. Wo sie starke Probleme sehen, und das gilt nicht nur für New York, sind etwa die Bereiche Bildung und Gesundheit. Ich wohne neben einer Feuerwache. Die rückt ständig aus. Ich habe mal gefragt, ob es tatsächlich so oft brennt. Die Feuerwehrleute werden meist für erste Hilfe angerufen, weil sich die Menschen keinen regulären Arzt mehr leisten können.
News.ch: Was sind ihrer Meinung nach die grossen verbleibenden Risiken und die grossen Chancen der Wallstreet für die Zukunft?
Jens Korte: Zu den Risiken zählen Gewerbeimmobilien, die fehlende Regulierung und vor allem die nach wie vor enorm hohe Arbeitslosigkeit. Es fehlen etwa 11 Mio. Jobs, um wieder das Beschäftigungsniveau von 2007 zu erreichen. Barack Obama hat völlig zurecht angekündigt, dass er die starke Abhängigkeit vom Konsum und der Inlandsnachfrage drosseln will. Aber so etwas dauert – wahrscheinlich länger als eine Generation. Als Chance sehe ich den unbändigen Willen der Amerikaner. Die Bereitschaft, sich immer wieder neu zu erfinden. China mag ja stark wachsen, aber wenn sie mal in ihrem Bekanntenkreis nachfragen, dann hat New York noch eine grosse Sogwirkung. Oder kennen sie jemand, der seine Weihnachtseinkäufe in Peking tätigt? Und in den Kinocharts finden sie überwiegend Hollywoodproduktionen und keine Bollywood Streifen.