von Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 5. Januar 2011 / 08:48 h
Der letzte Wahlbarometer von SRG/gfs.bern fand Ende September 2010, kurz nach der Wahl von Simonetta Sommaruga und von Johann Schneider-Ammann statt. Der Politbarometer der SonntagsZeitung erhob seine Daten kurz nach der Ausschaffungsinitiative im Dezember 2010. Erstaunlicherweise unterschieden sich die zwei unterschiedlich erhobenen und zeitlich versetzten Wahlbarometer nicht. Die Sonntagszeitungumfrage entfachte aber einen regelrechten SVP-Tsunami. Newsnetz von Tamedia und SDA verbreiteten fast minütlich SVP-Wahlhymnen: «SVP im Höhenflug», «Die SP wird noch schlechter abschneiden» oder «SVP geht in Hochform ins Wahljahr 2011» usw. Alles via Radio, TV und Zweitberichten, auch news.ch mischte dank der SDA-Meldung an vorderster Front und auf der Frontseite mit.
Welche Zahlen für solche Titel sprechen, sind nicht bekannt.
Im letzten Wahlbarometer als auch im neueren Politbarometer schneidet die SVP mit 26%, die SP mit 19.1.% Wähleranteil ab. Das entspricht einem Verlust des SVP- und des SP-Wähleranteils im Vergleich zu 2007 in ähnlicher Höhe (SVP verliert sogar ein paar Nullkommanullstellen mehr). Claude Longchamp kommentierte denn auch korrekt: «Die schweizerischen Wahlumfragen sehen knapp ein Jahr vor den Wahlen BDP und GLP als aussichtsreiche Wahlsiegerinnen. SP, FDP und CVP sind weitgehend stabil, während Grüne und SVP nicht mehr von der Mobilisierung wie im Jahre 2007 profitieren können.»
Die Schlagzeilen letzten Sonntag hätten also, wären Fakten und nicht Meinungen rezipiert worden, folgendermassen lauten können: «Rechts und links stagnieren, BDP und GLP können auf Champagner hoffen.»
Dennoch verlautbaren die üblichen, sogenannten «Politexperten» : «Die FDP wird grosse Verluste einfahren. Ihr Problem sei vor allem, dass sie schon so lange an der Macht sei und davon ausgezehrt werde» ; «Das linke Parteiprogramm ist nicht gerade optimal, um Wähler anzusprechen»; «Der SP kann es nur gut gehen, wenn es den Grünen schlecht geht und umgekehrt» und «Die SVP hat ein klares Profil, und das ist gerade für Neuwähler attraktiv».
Fakten, welche solch schwammige Einschätzungen stützen, gibt es keine.
Alternative zu Politikexperten: Wahrsageautomat. /


Lesen Sie nochmals: Die Aussagen der Experten beruhen auf dem Nichts.
Nun fragt sich, weshalb Newsnetz von Tamedia und SDA trotz anderslautender Faktenlage regelmässig, ständig und mit an Wiederholungszwang mutender Gleichförmigkeit behaupten, dass die SVP die grosse Wahlsiegerin des Jahres 2011 sein werde. Cui bono?
Der Hinweis, dass die SVP mit dem Abstimmungssieg in Sachen Ausschaffung neue Wähler mobilisiert hat, ist ebenso wie der Hinweis, dass die SP mit ihrem Parteiprogramm eventuell die eigene Wählerschicht vergrault, reine Spekulation. Wir verfügen zu diesem Zeitpunkt weder über die Vox-Analyse noch über eine Meinungsumfrage oder Studie zu diesen Themen.
Also nochmals: Cui bono? Wem nützen die medialen, im Stil von Madame Étoile beschworenen Höhenflüge der SVP? Weshalb wird eine Partei zum Auftakt des Wahljahrs dermassen gepuscht? Weshalb gibt es keine Diskussion über die Parteiprogramme sowie die Parteimenschen, die sich für die Wahlen 2011 engagieren? Welches Interesse haben die Politexperten, statt Fakten ihre Meinungen und dann erst noch ihre Meinungen ausschliesslich zugunsten einer Partei zu äussern? Welches Interesse hat das Tamedia Newsnetz sowie die SDA an den überproportionalen «SVP erobert die Schweiz»-Titeln?
Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Bisher habe ich mich in meiner wissenschaftlichen Arbeit immer an Isaac Newton gehalten. «Ich kann die Bewegung der Himmelskörper berechnen, aber nicht das Verhalten der Menschen.» Das bedeutet, dass ich, wo Zahlen vorhanden sind, mit Zahlen operiere. Das bedeutet, dass ich, wo Zahlen fehlen, mit logischen und einleuchtenden Argumenten eine Einschätzung gebe. Ich stelle diese Argumente auch zur öffentlichen Diskussion (leider oft mit dem Resultat, dass mit mir nicht über die Sache, sondern nur gegen meine Person gestritten wird. Shoot the messenger kennen wir ja auch aus anderen Zusammenhängen...)
Diese klare wissenschaftliche und intellektuelle Redlichkeit fehlt nicht nur den Medienberichten zur Ausgangslage der Wahlen 2011, sondern – das ist bedenklicher – den in der Wissenschaft tätigen Politexperten namens Lutz, Sciarini und Hermann. Nichts gegen Meinungen! Wenn sich jedoch politische Präferenzen oder schlicht schon fast sträfliche Blödheit unter dem Deckmantel von Wissenschaft und Objektivität tummeln, ist es in einer Demokratie angebracht, laut auf die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat, auf transparente und nachvollziehbare Methoden und auf redliche Meinungspluralität zu beharren. Denn was eine propagandistische und monopolistische Medienöffentlichkeit alles anrichten kann, sollte mittlerweile bekannt sein.
Nochmals: Mit Vernunft, Fakten und Daten lassen sich die medialen und wissenschaftlichen Nulleinschätzungen der Experten und der Medientitel nicht erklären. Da dies aber offenbar keine Rolle mehr spielt, title ich meine Kolumne gerne: Die SP befindet sich im Höhenflug!