Das Team um den Politikwissenschaftler André Bächtiger von der Uni Luzern führte erstmals in der Schweiz ein direktdemokratisches Feldexperiment zur so genannten Deliberation durch. Darunter verstehen Forscher sachliche, konstruktive Diskussionen. Die Idee: Die Teilnehmer der Diskussionen verstehen komplexe politische Themen besser und ändern ihre Meinung eher Richtung Gemeinwohl.
Vor der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative der SVP teilten die Forscher rund 230 freiwillige Probanden zufällig in drei Gruppen ein: Die Interventionsgruppe bekam ausgewogenes Informationsmaterial und nahm ungefähr einen Monat vor dem Urnengang an einer Diskussion in einem moderierten Online-Chat teil.
Schub für Gegenvorschlag
Die beiden anderen Gruppen dienten als Kontrollen: Eine erhielt Informationsmaterial, führte aber keine Diskussion. Die andere bekam gar nichts, war also einzig der Abstimmungspropaganda der Befürworter und Gegner ausgesetzt. Alle Gruppen waren politisch, sozial und kulturell gemischt zusammengesetzt.
Wie Bächtiger im Newsletter des Nationalen Forschungsschwerpunkts «Demokratie» berichtet, änderten die Diskussions-Teilnehmer im Verlauf des Experiments ihre Ansichten zur Vorlage drastisch.
«Arena» zur Ausschaffungsinitiative: Diskutieren hilft gegen Populismus. /


Zu Beginn waren etwa 40 Prozent für den Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament. Nach der Abstimmung waren es fast 70 Prozent.
In den Kontrollgruppen dagegen gab es keine grossen Verschiebungen. Die Zustimmungsraten zum Gegenvorschlag pendelten zwischen 40 und 45 Prozent. Bei der Volksabstimmung am 28. November 2010 stimmten 45,8 Prozent der Stimmbürger dem Gegenvorschlag zu - 54,2 Prozent lehnten ihn ab.
Interessanterweise führte im Experiment nicht die Diskussion selber zum Meinungsumschwung: Er fand schon vorher statt, wie eine Befragung unmittelbar vor dem Chat zeigte. Er führe dies darauf zurück, dass sich die Teilnehmer intensiv auf die Diskussion mit Fremden vorbereiteten und dabei zu anderen Ansichten gelangten, sagte Bächtiger.