Peter Achten / Quelle: news.ch / Dienstag, 19. April 2011 / 10:00 h
Mein tamilischer Freund hat Verwandte in der Schweiz, geflohen mitten in dem seit 1983 wütenden Krieg zwischen den terroristischen Kämpfern für ein unabhängiges Tamil Eelam, den Tamil Tigers (LTTE), und der Regierung.
Er selbst, ein kleiner Geschäftsmann aus Vaddakkachchi in der Nähe der am Schluss des Krieges lange umkämpften LTTE-Hochburg Kilinochchi, dachte nie daran, ins Exil zu gehen. Nach Trincomalee zog er mit seiner Frau und vier Kindern am Ende des letzten Jahrhunderts. Das war sicherer als im umkämpften Norden, und deshalb auch besser fürs bescheidene Textil-Geschäft. Seinen Namen will er aber auch heute noch nicht nennen, selbst für diese Kolumne nicht, aus Angst vor der eigenen Regierung in der Hauptstadt Colombo, die nach dem Sieg im Bürgerkrieg im April 2009 entgegen den eigenen Beteuerungen zuhanden der internationalen Öffentlichkeit die tamilische Minderheit (rund 18 Prozent der Bevölkerung) im Geiste der nationalen Harmonie ohne Ressentiments und ohne Rache zu behandeln.
Mein Bekannter hat aber nicht nur Angst vor der Zentralregierung sondern auch vor den Tamil Tigers. Obwohl die Terroristen im Krieg von den Regierungsstreitkräften vernichtet worden sind, die Führung eingeschlossen, fürchtet er sich noch immer vor der LTTE. Während des ganzen Krieges zahlte er sogenannten «Schutzsteuern» an die Aufständischen. Aber nicht nur das, auch seine Verwandten und Bekannten in der Schweiz wurden erpresst. Sein Cousin zum Beispiel arbeitet als Küchengehilfe in einem Restaurant in der Romandie. Von dessen Verdienst von insgesamt 3'500 Franken flossen monatlich sage und schreibe 1'500 Franken in die Kassen der LTTE. Die Methode der Terroristen war einfach; entweder bezahlen, so die Drohung, oder den zurückgebliebenen Verwandten in Sri Lanka geht es schlecht. Was immer das heissen mochte.
In Trincomalee, das die Einheimischen kurz Trinco nennen, war ich nach dem Tsunami vor sechs Jahren zum letzten Mal. Damals wollte ich herausfinden, wie die Flut sich an Sri Lankas Ost- und Südküste auf die Bevölkerung ausgewirkt hat. In Sumatras Banda Aceh, das ich in jenem Jahr mehrere Male bereist habe, hatte der Tsunami angesichts von über 100'000 Toten zur Folge, dass sich Indonesiens Regierung und die Unabhängigkeitsbewegung nach schwierigen, langen Diskussionen auf eine friedliche Lösung des blutigen Bürgerkrieges einigen konnten.
Nichts dergleichen in Sri Lanka. Trotz 45'000 Todesopfern und unermesslichem Leid blieben sowohl die Regierung der singhalesischen Mehrheit (rund 75 Prozent der Bevölkerung) in Colombo als auch die Terroristen im Norden unbeugsam. Kompliziert wurde die Lage dadurch, dass in dem vom Tsunami betroffenen Gebiet noch andere Minderheiten, zumal Moslem - Nachfahren arabischer Händler - leben. Der Kampf um die Hilfsgelder war hart und hatte Folgen. Auch die Projekte der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) des schweizerischen Aussenministeriums waren davon betroffen. Je nach Standpunkt wird die Schweizer Intervention negativ (Weltwoche) oder positiv (DEZA) bewertet.
Nach dem Ende des Krieges vor zwei Jahren ist Trincomalee auch für den Tourismus wieder zugänglich. Und Trincomalee hat etwas zu bieten.
Allgegenwärtig an Plakatwänden Sri Lankas: Präsident Mohinda Rajapaska /


Strände zum Beispiel, aber auch eine lebendige, quirlige Hafenstadt. Auf der See-Seidenstrasse spielte Sri Lanka an strategischer Lage am indischen Ozean zwischen der Strasse von Malakka im Osten und der Strasse von Hormuz sowie Aden im Westen seit zweitausend Jahren eine wichtige Rolle. Das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben. Nicht von ungefähr bauen die Chinesen, wie bereits in Burma und Pakistan, auch an Sri Lankas Südküste einen Tiefsee-Hafen und unterstreichen damit die fortgesetzte strategische Bedeutung der Insel. Das haben schon die christlichen Seefahrer aus Portugal begriffen, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Weg rund um Afrika in den Fernen Osten fanden. In Trincomalee bauten die Portugiesen 1624 eine Festung, einen von vielen Stützpunkten - z.B. Goa, Malakka, Macao - die später von den Holländern, Franzosen und schliesslich Engländern erneuert und ausgebaut wurde. Während des II. Weltkrieges spielte der Hafen von Trincomalee eine entscheidende Rolle für die Ostasienflotte der Alliierten Streitkraefte gegen die japanischen Invasoren in Südostasien.
Der Alltag in Trincomalee hat sich «normalisiert», meint mein tamilischer Freund, die Geschäfte seien nicht schlecht. Das Wirtschafts-Wachstum Sri Lankas kann sich denn auch mit sieben Prozent im vergangenen Jahr sehen lassen. Dennoch, die Militär-Präsenz nördlich und östlich vom Anuradhapura im Landesinnern und das Misstrauen der Uniformierten gegenüber den Tamilen sind nicht zu übersehen. Nimal de Silva, als Burgher Nachkomme der portugiesischen und holländischen Seefahrer und mithin Vertreter einer kleinen Sri Lankesischen Minderheit meint denn auch, dass alle Sri Lankesen - Tamilen, Singhalesen, die Moors und die Burghers, Buddhisten genausogut wie Moslems, Hindus und Christen - keine andere Wahl haetten, als sich «friedlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenzuraufen». Das zu erreichen freilich, wird schwierig sein. Die singhalesische Mehrheit sieht seit Jahrhunderten ihre Identität, ihre Werte, ihre buddhistische Religion von den hinduistischen Tamilen bedroht. Bereits vor 800 Jahren gab es im Norden um Jaffa ein tamilisches Reich, und im 19. Jahrhundert importierten die Briten für ihre Plantagen Hindu-Tamilen aus Südindien. Das erklärt auch den Unterschied der sogenannten Ceylon-Tamilen aus höheren Kasten und den Hügel- oder Plantagen-Tamilen aus niederen Kasten. In den Bürgerkrieg involviert waren nur die Ceylon-Tamilen.
Der Sri Lankesische Präsident Mohinda Rajapaska lässt sich unterdessen überschwänglich als Sieger im Bürgerkrieg gegen die Tamil Tigers feiern, einem Krieg, der über 80'000 Menschen das Leben gekostet hat. Rajapaskas Singhalesische Überheblichkeit ist nicht gerade die beste Voraussetzung für eine nationale Versöhnung zwischen Singhalesen und Tamilen. Leider. .