Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 17. Oktober 2011 / 11:28 h
Natürlich könnte man nun die Diskussion anfangen, wie viele dieser Frührentner allenfalls simulieren oder gar nicht so schlimm dran sind, doch dies ist müssig. Denn die grosse Mehrheit dürfte wirklich in der Arbeitswelt so unter die Räder gekommen sein, dass sie einfach nicht mehr «funktionieren». Die Tatsache, dass Mobbing durch Kollegen und auch Vorgesetzte unterdessen zum Alltag gehört, der Leistungsdruck jedes Jahr höher wird und «Arbeitsplatzsicherheit» ein Wort aus dem Heimatmuseum ist, machen diese psychische Krise nachvollziehbar.
Doch diese Leute, die aus ihrem Leben hinaus geängstigt werden, sind nur ein weiteres Symptom. Ein Symptom für ein System, das vielleicht schon jenseits seiner Bruchgrenze angelangt ist. Es ist kaum vermessen zu behaupten, dass wir uns in einer permanenten Krise befinden.
Und nein, die Rede ist nicht nur von der Finanzkrise (die sich mittlerweile in einen dynamischen Krisenzustand gewandelt hat), sondern, wenn die mal weg wäre, Energiekrise, Rentenkrise, Umweltkrise, Nahrungsmittelkrise und Klimakrise.
Wenn sich jetzt eine Protestbewegung formiert - oder formiere - dann lässt sich diese schwerlich mit jenen des «Arabischen Frühlings» vergleichen. Denn das konkrete Ziel, die vermeintlich konkreten Lösungen fehlen oder sind nur durch langwierige Verhandlungen und nicht einfach durch Sitzblockaden von der Strasse aus zu erreichen.
Selbst wenn nun einen Tobin-Steuer eingeführt würde (wogegen sich ja die USA und ausgerechnet China mit Händen und Füssen wehren) und die Finanzkrise gelöst werden könnte, die Reihe der Probleme, die hinter der Finanzkrise an der Türe warten füllt einen ganzen Korridor.
Und dass jene, die mit der Bekämpfung der Probleme beschäftigt sind, ausgerechnet die sind, welche diese zum Teil ermöglicht, die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, sie sogar mitverursacht haben (speziell politische Parteien), macht eine Lösungsfindung unglaublich schwierig. Sich zu empören ist das eine, und sicher auch berechtigt. Eine funktionierende Alternative anzubieten hingegen erfordert harte Arbeit, vor allem, weil wir nicht einfach bei Null beginnen können.
Der Umbau, wenn er den stattfindet, muss sich vor allem an anderen Zeithorizonten orientieren. Politiker denken in der Regel maximal drei Jahre voraus (bis zum Beginn des nächsten Wahlkampfes), Manager mitunter bis zur nächsten Bonuszahlung oder auch nur bis zu den nächsten Quartalszahlen und viele Durchschnittswähler wollen vor allem versprochen haben, dass alles mindestens so bleibt wie es ist oder besser wird.
Das einzige, was in diesem Wunschkonzert nicht berücksichtigt wird, ist die Realität. Dabei ist nicht die politische gemeint (die ohnehin nur ein aus Machtgier, Gefälligkeiten, Aversionen, Idealismen und Abhängigkeiten erschaffenes Fantasiegebilde ist), sondern die physikalischen Realitäten der Welt, in die wir eingebettet sind ebenso wie die Tatsache, dass Ursachen und Auswirkungen mitunter Jahrzehnte auseinanderliegen können.
Betrachtet man diese unter der Prämisse, dass die Welt nicht für uns da ist (ein häufiger, religiös motivierter Fehlschluss), sondern wir einfach auf diesem Planeten leben, dass es eine gewisse Menge an erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen gibt, ändert sich die Perspektive schlagartig.
Auf der Abfallhalde der Gesellschaft: Depressions-Kranke /


So gilt es denn, die Resourcen nicht unter der Vorgabe der Gewinnmaximierung sondern der Effizienz auszunützen. Dies beginnt bei scheinbar banalem, wie dem Ende der Lebensmittelverschwendung durch Wegschmeissen (so wird die Hälfte der Kartoffeln vernichtet, auch, weil sie zu gross, Gurken, weil sie zu krumm sind, 20% des Brotes wird vernichtet etc.), geht weiter bei der optimalen Energieausnutzung, bis hin zum Ende der Zersiedelung der Landschaft und einer Verkürzung der Arbeitswege: Pendlerströme sind sowohl eine Energie- als auch eine Zeitverschwendung, die zusätzlich noch die Anwohner der betroffenen Strassen krank machen.
Doch Ressourcen sind nicht nur Rohstoffe, Baugrund und erneuerbare Energiequellen, sondern auch die Menschen, welche unsere Gesellschaft ausmachen. Der Brain-Drain, der durch die Anfangs erwähnten Krankschreibungen stattfindet, ist gigantisch. Die physische und psychische Vernichtung von Arbeitern und Angestellten kostet gewaltige Summen, welche sich eine Gesellschaft nicht leisten kann und die Wirtschaft nicht verursachen dürfte.
Auch die geradezu religiös geführte Rentenalterdiskussion muss realistisch betrachtet werden. Arbeitnehmern, die gerne weiter in einem erfüllendem Job arbeiten, sollten diese Möglichkeit auch jenseits von 65 bekommen. Arbeiter in hoch belastenden Positionen wie der Schwerindustrie müssen andererseits auch früher in Rente gehen können - doch in unserer Gesellschaft betrifft dies ohnehin immer weniger Arbeiter. Um diese Flexibilität zu erfüllen, müsste sich natürlich auch die Wirtschaft vom teilweise krankhaften Jugendwahn befreien.
Zudem darf der zu einer Wirtschaft gehörende Geldmarkt, der in einer globalen Wirtschaft eine Notwendigkeit ist, nur reell vorhandenes Kapital verwalten und handeln. Fantasiegeld, wie in den Derivaten und Kreditmärkten en masse vorhanden, müsste verboten werden. Erst diese Blasen an nicht durch die Realität gesichertem Kapital haben viele der Exzesse, welche die heutigen Probleme verursachten, möglich gemacht.
Wie gross die Chancen auf solche Reformen sind? Vermutlich minimal, solange die Schose noch irgendwie läuft. Ob bei einem Kollaps (und nein, den hatten wir noch nicht) dann aber kontrolliert umgebaut werden könnte, ist noch fraglicher. So bleibt nur zu hoffen, dass in der Zeit, die noch bleibt wider aller Wahrscheinlichkeit ein Umbau in Richtung nachhaltige Gesellschaft in Angriff genommen wird, für eine Gesellschaft in der wenige Waren, weniger Rohstoffe und weniger Menschen sinnlos auf die Abfallhalde geworfen werden.