«Von der Grösse her müsste Polen im europäischen Fussball eigentlich eine Führungsrolle innehaben», sagt Komornicki, der 20 Länderspiele für den EM-Co-Ausrichter bestritten und an der WM-Endrunde 1986 in Mexiko teilgenommen hat. «In Polen leben 40 Millionen Menschen, da müssten normalerweise doch 25 hoch talentierte Fussballer gefunden werden, die um die wichtigen Titel mitspielen können. Leider aber liegt in meinem Heimatland einiges im Argen. Nur wenige Klubs beschäftigen in ihren Nachwuchsabteilungen Profitrainer, wie es hier in der Schweiz vom Verband gefordert wird. Die Nachwuchsarbeit und die Ausbildung der Trainer ist schlecht. Ich erhoffe mir nun aber durch die EM einen Aufschwung im ganzen Land.»
Topspieler im Ausland
Trotz diesen Mängeln traut Komornicki, der in Polen mit Gornik Zabrze viermal Meister war, seinem Heimatland einiges zu an dieser Endrunde im eigenen Land. «Im Prinzip ist alles möglich. Im Kader figurieren 14, 15 Spieler mit hoher Qualität. Die sind für die Halbfinals gut, wenn alles optimal läuft», glaubt der langjährige Aarau-Spieler, der 1993 zusammen mit Roberto Di Matteo auch den Schweizer Meistertitel gewann. «Diese Spieler haben in den letzten Jahren wertvolle Erfahrungen in grossen ausländischen Ligen gesammelt, dies müsste nun der Mannschaft zu Gute kommen.»
Allerdings sei mit den Erfolgen der Dortmund-Söldner Lukasz Piszczek, Jakub Blaszczykowski und Robert Lewandowski, von Bordeaux-Söldner Ludovic Obraniak sowie der beiden Arsenal-Goalies Lukasz Fabianski und Wojciech Szczesny auch die Erwartungshaltung im Volk gestiegen. «Wenn das Team diesem Druck standhalten kann, die Ruhe in kritischen Situation behält und vom Publikum durch dick und dünn unterstützt wird, dann bin ich sehr zuversichtlich für ein erfolgreiches Abschneiden.»
Komornicki erachtet es nicht unbedingt als Vorteil, in eine sogenannt schwache Gruppe eingeteilt zu sein. «Wir treffen dafür auf unangenehme Gegner, die vielleicht gegen uns defensiv agieren werden. Und das liegt der polnischen Mannschaft nicht unbedingt.
Ryszard Komornicki erhofft sich durch die EM einen Aufschwung in ganz Polen. /


Das Angriffsspiel ist nicht unsere Stärke. Trainer Franciszek Smuda würde wohl lieber gegen Teams wie Holland antreten, die nach vorne spielen.»
Kein Vergleich mit den Legenden
Weitere Schwächen im polnischen Team sieht Komornicki, der zuletzt Wohlen vor der Relegation in die neue 1. Liga Promotion bewahrt hat, im zu unausgeglichenen Kader: «Unsere Bank ist nicht stark genug. Wir können nicht jeden Stammspieler gleichwertig ersetzen. Dies könnte uns im Verlauf des Turniers eine gute Rangierung kosten.»
Auch das Selbstbewusstsein sei natürlich nicht mit jenem der grossen polnischen Teams von 1974 und 1982 zu vergleichen, als die Legenden Grzegorz Lato, Andrzej Szarmach, Kazimierz Deyna und Zbigniew Boniek Polen zweimal zu WM-Bronze führten. «Das waren Weltklasse-Spieler und Persönlichkeiten mit einer riesigen Ausstrahlung. Die gingen mit einer unglaublichen Entschlossenheit ans Werk. Das geht den heutigen Spielern noch etwas ab. Dafür sind diese technisch und taktisch viel weiter und bringen die bessere Ausbildung mit. Diese EM könnte die Wende im polnischen Fussball bringen. Ich hoffe einfach, dass uns die Hooligans nicht alles kaputt machen.»
Experte im TV-Studio
Komornicki wird die EM nicht vor Ort verfolgen. Er ist vom Schweizer Fernsehen als Experte für das Eröffnungsspiel ins Studio eingeladen worden. Zudem weiss der Pole noch nicht, ob er in der neuen Saison wieder einen Job hat oder nicht. «Ich weiss noch nicht, ob ich eine Mannschaft auf die neue Meisterschaft vorbereiten darf oder ob ich mich bei der Arbeitslosenkasse anmelden muss. So liegen Ferien in Polen während der EM nicht drin.»