Es gibt Fragen im Fussball, die werden nie abschliessend beantwortet. Zum Beispiel: Wer ist der beste Spieler der Gegenwart? Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi? Die Geister scheiden sich, weil es bei dieser Frage nie nur um die Qualität der beiden Fussballer geht. Die zwei Personen sind derart verschieden, dass das Charakterliche in der Debatte immer auch eine Rolle spielt.
Eine andere ungelöste Frage: Wer ist der beste Spielmacher? Andrea Pirlo oder Xavi Hernandez? Der Chef beim italienischen Meister Juventus Turin oder der Taktgeber beim besten Klubteam, dem FC Barcelona. Diese Frage darf ganz auf die fussballerischen Qualitäten beschränkt werden. Denn der 33-jährige Pirlo und der acht Monate jüngere Xavi sind neben dem Platz sehr ähnlich. Ohne Extravaganzen. Ohne Allüren. Um sie wird kein Starkult betrieben. Sie leben abseits des Rampenlichts, obwohl eigentlich sie diejenigen sind, welche dafür sorgen, dass die Scheinwerfer auf ihre Teams gerichtet sind.
Die Besten
Pirlo und Xavi. Sie sind in der Schaltzentrale eines Fussballspiels die Besten. Sie haben alles gewonnen. Xavi ist Welt- und Europameister, dreifacher Champions-League-Sieger und mehrfacher Meister. Pirlo wurde Weltmeister, gewann zweimal die Champions League und ist ebenfalls mehrfacher Meister. Und noch etwas verbindet die beiden. Sie wurden noch nie zum Weltfussballer gewählt.
Einer der besten seines Fachs: Spaniens Spielgestalter Xavi Hernandez. /


Wenn Pirlo mit Italien oder Milan grosse Triumphe feierte, gewann Fabio Cannavaro oder Kaka die Krone. Wenn Xavi mit Barcelona oder Spanien zuoberst stand, gehörte der Titel Ronaldinho oder Lionel Messi.
So sehr die Öffentlichkeit ihre Leistungen (zu) wenig würdigt, so hoch im Kurs stehen Pirlo und Xavi bei den Mit- und Gegenspielern, bei Trainern und Experten. Auf die Frage, was ihm vor der EM die grössten Sorgen bereite, antwortete Spaniens Coach Vicente Del Bosque: «Andrea Pirlo. Er ist im Startspiel unser schwerster Gegner. Er kann alles.» Auf der anderen Seite tönte es über den spanischen Gegner ähnlich. «Ich bin verliebt ins Spiel der Spanier. So ein Mittelfeld hat es in der Geschichte des Fussballs noch nie gegeben. Und über allen steht Xavi», sagte Italiens Daniele De Rossi.
Wer ist besser?
Doch wer ist nun der Bessere der beiden Ideen- und Taktgeber, Chefdenker und Lenker? Der frühere spanische Internationale und Nationaltrainer sowie ex Inter-Coach Luis Suarez (77) lebt in Italien und verfolgt den Fussball in beiden Ländern intensiv. «Pirlo ist etwas kompletter. Während Xavi vor allem den gescheiten kurzen Pass spielt, kann Pirlo auch lange Bälle schlagen und das Spiel besser verlagern.» Dafür ist Xavi torgefährlicher. Er schoss in der abgelaufenen Saison in 31 Ligaspielen zehn Tore, während Pirlo bei 37 Einsätzen nur dreimal traf.
Die Frage nach der Nummer 1 unter den Regisseuren könnte heute Sonntag im ersten Direktduell der beiden seit über vier Jahren eine Antwort erhalten. Der Formstand spricht eher für den Italiener. Während die Saison für Pirlo mit Juventus im Crescendo und mit dem Scudetto endete, sank Xavis Formkurve im Frühjahr leicht ab und erreichte mit dem Verlust des Meister- und Champions-League-Titels die Talsohle.
«Es geht darum, schnell zu denken»
Xavi selbst sieht sich mit Pirlo auf einer Stufe - und über den anderen Strategen. Der «Süddeutschen Zeitung» verriet er vor einigen Monaten in einem Interview: «Es geht darum, zu wissen, was man mit dem Ball macht, bevor man ihn bekommt. Es geht darum, schnell zu denken. Diese Art von Geschwindigkeit ist heute fast mehr wert als die pure physische Schnelligkeit. Wer das ausser mir noch kann? Aus meiner Generation ist es Pirlo.»