Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 4. Juli 2012 / 12:52 h
Wenn wir indessen meinen, dies sei ein exklusiv französisches Phänomen, sehen wir uns in diesen Tagen getäuscht. Die Schweiz ist mitnichten besser und, was die Sache besonders pikant macht, sie ist dank Grossbanken auch in jeden internationalen Skandal wie per Zufall involviert.
National sind die engen Verbindungen der Grossbanken-Kaderleute mit Bund, Kanton und Gemeinde eh schon fast ein Nationalgefühl. Hans Tschäni berichtete vor mehreren Jahrzehnten über den herrschenden Filz in der Schweiz, der durch die Kleinräumigkeit dieses Landes kaum mehr zu zerschneiden ist. Nichts hat sich seit Tschäni geändert, im Gegenteil.
In der Schweiz wäscht eine Hand - gemütlich, mit schönen, kehligen Dialekten, hübschen Gesichtern und wohlerzogenem Benehmen - die andere. Der langjährige Anlagechef der BVK, Daniel Gloor, steht im Zentrum eines mutmasslichen Bestechungsskandals. Gloor wird ungetreue Amtsführung vorgeworfen. Zudem solle er über Jahre, Freunde mit Millionen an Verwaltungsgeldern beglückt haben, damit diese den Geldsegen vermehren können.
Wie immer bei solchen Geschichten, die wahrscheinlich viel öfters passieren als dies die Journalisten in mühsamer Recherchearbeit zu Tage fördern, ist irgendeine Grossbank involviert. Diesmal ist es die CS, bei welcher untersucht wird, inwiefern deren Kaderleute mitgeholfen haben, das Geld zu waschen und zu vermehren. Genial ist, dass Gloor in unserer Wissenschaftsgesellschaft über zehn Jahre als einziger Finanzexperte punkto Pensionskassenanlagen galt. Unglaublicheres gibt es wirklich nicht, doch alle Angestellten über Gloor, unter Gloor, neben Gloor haben dies offenbar geglaubt.
Beim Bund geht es auch weiter rund und filzig. Die Steuerverwaltung beweist mit dem Informatikprojekt «Insieme» eine Kungelei, die selbst hartgesottene Korruptionskennerinnen mit grossen Augen zurücklässt. Es gibt zwar rechtliche Grundlagen zu öffentlichen Aufträgen, doch wie wir alle wissen, kriegen den Zuschlag vor allem die Firmen, welche über gute persönliche Kontakte mit den jeweiligen Verantwortlichen in Bund, Kanton und Gemeinde verfügen. Dies ist durchaus auch in der Wissenschaft der Fall, was immer dann so süss ist, wenn Studien breit portiert werden, deren Auftraggeber und Finanzierer durch Umfragen, Statistiken und sonstigen «objektiven» Belege über allen Klee gelobt werden.
Selbstverständlich rotieren die Gerichte, die Medien sowie die zuständigen Behörden wie wild, wenn solche Geschichten bekannt werden. Doch nach einigen Wochen ist meistens alles vorbei. Verurteilt wird dann nur der, der sich keinen guten Anwalt leisten konnte. Die eventuell verantwortlichen Kaderleute von Bund und Grossbanken kommen meistens völlig ungeschoren davon.
Alltag in Gewissen Kreisen? Der diskrete Charme der Korruption. /


Die Medienleute zucken nur die Schultern, wenn man sich empört und meinen, dass irgendwas an diesem System doch so falsch ist, dass es sich a) immer wiederholt und b) allen Gerechtigkeitsgrundsätzen widerspricht. Zynisch wird geantwortet: Gerechtigkeit gibt's nur im Film oder im Märchen.
Couverts mit Bargeld, luxuriöse Geschäftsessen und Reisen, Clubbesuche gehören unter den hohen männlichen Chefbeamten und Grossbank-Kaderleuten offenbar zum Alltag. Deren Frauen zuhause schauen zu den Kinderlein und halten sich mit Sport und Schönheitschirurgie präsentabel. Wir alle, die wir manchmal bei einigen Events sowohl auf die Männer wie deren Frauen treffen, lächeln anständig, provozieren nicht mit ein paar spöttischen Bemerkungen, sondern halten brav unser Referat, das als einzig kritischer Beitrag und Feigenblatt so geplant wurde. Alle nicken, machen mit in einem System, das schon im Kern völlig verfault ist.
Chefbeamte werden gemäss herrschender Ideologie unermesslich hoch bezahlt, weil sie viel Verantwortung tragen. Fakt ist, wenn sie ihre Verantwortung überhaupt nicht wahrgenommen haben, gibt es eine schöne Abgangsentschädigung und einen ungebrochenen beruflichen Lebenslauf. Kaderleute grosser Firmen und Banken kriegen - wiederum gemäss herrschenden Diskurs - wegen ihren schwierigen Aufgaben für Normalsterbliche unermesslich hohe Löhne. Chefbeamte und Kaderleute wehren sich mit Händen und Füssen gegen eine Frauenquote in ihren höheren Etagen mit dem Argument, dass schliesslich die Qualität und nicht das Geschlecht, Ausschlag für einen hohen Posten geben sollte.
Und und und. Die Absurdität, mit welcher die feudale und bürgerliche Privatisierungskaste Menschen kauft, Widerstand schon im Denken verbietet (siehe neben vielem anderen die nationalen Förderprogramme, idiotische Bologna-Bürokratie-Formulare, noch seltsamere Bewerbungsverfahren für akademische Posten) und Filz statt Leistungsausweis entlöhnt, vermiest vielen von uns Talentierten, Naiven und Leistungsbringerinnen insofern das Leben, als dass wir die Regeln, die von uns verlangt werden, nie einhalten können, wollen und werden.
Wer bei Bundesaufträgen das beste Angebot, die nachhaltigste und kostenklügste Lösung sowie die Implementation garantiert, kriegt nur dann den Zuschlag, wenn in den Stühlen auch Menschen sitzen, die wie Sie und ich funktionieren - nämlich nach einem grundsätzlich anständigen Massstab und einer gewissen Urteilskraft. Meistens scheitern jedoch ausgerechnet die Menschen, welche ein Projekt wirklich mit Kunst, Zeitplan, richtigem Budget und gut geplanter Organisation vorstellen. Sie scheitern nie wegen mangelnder Qualität, sondern wegen fehlenden Kontakten zu den korrupten Leuten. Fazit ist oft: Anstand macht arbeitslos.
Die Ereignisse der letzten zehn Jahre um Swissair, um Finanzkrise, um Pensions- und Krankenkassen, um nuklearenergetische Mauscheleien, um Bauwirtschaft, um Beschaffungsaufträge in Milliardenhöhe (siehe auch Gripen) etc. könnten eigentlich dazu führen, dass die Werte, die uns vorgebetet werden, aber in Realität nie vorkommen, umgewertet werden.
Es ist höchste Zeit, die Kosmetik des Leistungsethos für Kaderstellen radikal abzuschminken. Im Klartext: Macht Ihnen in Zukunft irgendwer vor, er hätte den Posten aufgrund seiner Leistung gekriegt, lachen Sie ihm ins Gesicht und fragen ihn fröhlich: Wie sieht eigentlich die Hollywood-Couch im Vorzimmer von Widmer-Schlumpf aus?