Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Freitag, 6. Juli 2012 / 12:21 h
Sollte sich diese Wahrscheinlichkeit bestätigen (und die Chancen dagegen liegen irgendwo in der Gegend von einer Million zu Eins), wäre ein wichtiges Bauteil zum grundlegenden Verständnis der Welt und des Universums dem grossen Weltpuzzle hinzugefügt.
Angesichts der grössten Maschine der Welt - dies ist der Large Hadron Collider in Genf nämlich - und der enormen Kosten, welche Bau und Betrieb von diesem erfordern, bekommt man mit Sicherheit immer wieder eine Aussage zu hören: «Und was bringt's?» gefolgt von «Mit dem Geld könnte man viel bessere Dinge machen.»
Dies zeugt einerseits davon, dass sich diese Leute scheinbar nicht dafür interessieren, woraus sie und unsere Welt bestehen. Andererseits auch, dass sie den Begriff Grundlagenforschung offensichtlich nicht begriffen haben.
Bedenkt man schliesslich, dass das Geld für das CERN aus über 100 Ländern kommt und die Resultate weltweit geteilt werden, diese Erkenntnisse sonst nicht gewonnen werden könnten und die Kosten über Jahrzehnte verteilt sind, erscheinen die bisher elf Milliarden Gesamtkosten (inklusive Betrieb) auf einmal nicht mehr so dramatisch.
Sicher, man könnte mit dem Geld auch zwei Atomflugzeugträger bauen. Oder einen Eurofighter entwickeln, von dem was Erkenntnisgewinne angeht, nichts zu erwarten wäre und der in der Folge nochmals das Mehrfache kosten würde.
Doch bringt uns der Erkenntnisgewinn etwas, bringt es das Higgs-Boson wirklich? Kommt drauf an, wie man es betrachtet. Bringt es Ihnen was, zu wissen, dass die Erde um die Sonne kreist? Dass die Erde eine Ekliptik von 23,4385° hat? Dass von der Sonne ausgespuckte Elementarteilchen das Magnetfeld der Erde verbeulen können? Dass unser Universum 13,75 Milliarden Jahre alt ist und alle Elemente in unseren Körpern mit Ausnahme des Wasserstoffs aus dem Kern explodierter Sterne stammen?
Nein, bringt nichts. Davon können Sie sich weder ein Sandwich kaufen noch ins Kino gehen.
Woraus die Welt besteht: Simulierter Higgs Event /


Aber - es kann einem aufzeigen, wo man wirklich steht und was man wirklich ist. Universal gesehen, sind wir weniger als ein Staubkörnchen. Die Zeit unserer Existenz - als Zivilisation - wird dereinst nur ein kurzes Aufblitzen gewesen sein. Die Unendlichkeitsansprüche von Religionen und Ideologien sind vor diesem Hintergrund lächerlich - nicht zuletzt einer der Gründe, warum sich Religionsvertreter schon immer gegen die Wissenschaft gestellt haben.
Wenn wir diese begreifen, die Endlichkeit unserer Existenz bejahen und gleichzeitig den fantastischen Fakt begreifen, dass unsere Ahnenlinie nicht ein paar tausend Jahre zu irgendwelchen Göttern oder Adam und Eva, sondern Milliarden Jahre bis zu den Einzellern zurück geht, so können wir auch beginnen, Leben so zu Leben, wie es ist: Kostbar und selten, ungeschützt durch metaphysische Superhelden (auch Götter genannt), verwundbar durch kosmische und irdische Katastrophen.
Und genau hier könnte uns die Grundlagenforschung helfen, wenn wir zu begreifen gewillt sind, was sie uns sagt: Dass wir auf einem sehr einsamen Planeten sitzen, ohne Rettungsboot, angewiesen auf Kooperation statt Konfrontation. Dass wir mit den limitierten Ressourcen gut haushalten sollten und die Menschheit sich so vom Wundergläubigen, sich als Abbild eines archaischen Gottes wahrnehmenden, zum rational-anteilnehmenden Wesen entwickelt.
Zudem gibt sie und wird uns noch mehr Mittel in die Hand geben, unseren Planeten sowohl gegen unsere Dummheit als auch gegen Gefahren von ausserhalb (Killerkometenabwehr und ein Sonnensturmwarnsystem wären keine schlechten, in globaler Zusammenarbeit realisierbare Ideen) verteidigen könnten.
Und jeder, der findet, dass dies alles Fantasien seien, sei daran erinnert, dass heutige Selbstverständlichkeiten, vom Smartphone bis zum Kernspintomographen die Wurzeln ihrer Technologie in der «idiotischen, sinnlosen» Grundlagenforschung haben. Wer weiss - vielleicht liegt in den neuen Erkenntnissen dereinst auch die Lösung von grundsätzlichen, globalen Problemen.
Die Meinungen werden sich kaum ändern - wer blind sein will, wird blind gegenüber der Realität bleiben, blind gegenüber den Tatsachen unserer Existenz und den Lösungen von Problemen die nur in der Anerkennung der Realität, der kritischen Prüfung aller neuer Ideen und einer globalen Zusammenarbeit liegen kann, wie sie von den CERN-Forschern vorgelebt wird.