Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Montag, 26. November 2012 / 14:03 h
Dummerweise fürchten wir uns andererseits nicht vor Dingen, die wirklich gefährlich sind. So ist die Angst vor Spinnen in Relation zu den durch Spinnenbissen verursachten Todesopfer absurd weit verbreitet, während sich fast kein Mensch vor Autos fürchtet, obwohl diese jedes Jahr tausende Todesopfer verursachen. Die Furcht vor Zigaretten (selbst ein Rauchgegner hat keine Angst vor den Dingern, er ekelt sich höchstens davor) existiert praktisch nicht, während die Angst vor dem Fliegen einen wesentlichen Prozentsatz der Menschheit belastet - dies obwohl jedes Jahr wesentlich mehr Menschen Zigaretten als Flugzeugabstürzen zum Opfer fallen. Und wer rennt schon panisch vor einem Hamburger mit Fritten davon? Kaum einer, obwohl Herzkrankheiten, die im Wesentlichen durch falsche Ernährung mit verursacht werden, in unserem Kulturkreis die häufigsten Todesursachen sind.
Hirnforscher versuchen schon seit langem, der Ursache dieser fatalen Falschwahrnehmungen auf die Spur zu kommen und es ist klar: Mit rationaler Wahrnehmung hat Angst nur zum Teil zu tun. Angst und Ablehnung werden auch von teils absurden Faktoren, wie der Umgebung, in der man sich gerade befindet, beeinflusst. Werden Menschen zu einem beliebigen Thema befragt, sind ihre Ansichten meist negativer, wenn Sie in einer hässlichen Umgebung oder einer, in der bestimmte Gegenstände negative Emotionen auslösen können, befragt werden.
Im Gegensatz dazu verringern fröhliche Farben und positive Assoziationen den Furcht-Level - kein Wunder setzten, als Zigarettenwerbung noch ein grosses Ding war, die Tabakhersteller auf diese Werbeschiene. Der kurzfristige Lustgewinn verdrängt den Krebstod in 20 Jahren aus dem Hirn.
Oder nehmen wir Haie. Wenn irgendwo an einem Strand auf der Welt ein Surfer von einem Hai attakiert wird (weil dieser sein Opfer mit einer Robbe verwechselt hat), kann man wetten, dass Schlagzeilen auf der ganzen Welt über die «blutrünstige Bestie» schreiben wird, auch wenn es pro Jahr weltweit im Schnitt nicht mal 10 Haiangriffe und ein Todesopfer pro Jahr gibt.
Der Killer und der Fisch: Kühe töten wesentlich mehr Menschen als Haie. /


Kühe hingegen trampeln jedes Jahr alleine in den USA mehr als 20 Leute tot. Und wer findet, er sei nur am Meer und Kühe könnten ihn im Gegensatz zu Haien nicht erwischen: Die Chance, völlig hailos zu ersaufen, ist 3000 Mal grösser, als von einem Hai getötet zu werden. Doch statt an den Stränden ein bessere Aufsicht zu etablieren und die Sicherheitsmassnahmen gegen das Ertrinken zu intensivieren, werden Anti-Hai-Massnahmen gefordert, sobald mal wieder einer der wenigen Zwischenfälle in die Schlagzeilen kommt.
Das wäre alles halb so wild, wenn Angst nicht auch ein wichtiger Faktor in der Politik wäre. Die Verteuflung von Minderheiten, indem Ängste vor diesen geschürt werden, ist unter politischen Bewegungen ebenso populär wir das Etablieren von Angstkulissen, wobei Fakten nicht wirklich eine Rolle spielen, solange das politische Ziel erreicht wird.
Meister in der Dämonisierung von Gruppen (schon das Wort macht dies eigentlich klar) waren und sind vielerorts noch die Religionen: Genozide aufgrund anderen Glaubens, Kriege im Namen Gottes und das Morden aus der Angst vor den «bösen» Anders- oder Ungläubigen sind das in Aggression umgemünzte Resultat von teils hunderte Jahre währender Angstmacherei und Dämonisierung.
Unsere Anfälligkeit für irrationale, ja absurde Ängste lässt sich nicht aus unseren Hirnen verbannen. Wir sind geradezu darauf geeicht, auf Manipulationen, Falschinformationen und emotionale Fehlschlüsse anzusprechen und uns so vor falschen Dingen zu fürchten. Für Menschen, die den Anspruch erheben, politisch aktiv und verantwortlich zu sein, sollte es daher ein Muss sein, die Ängste, die einen plagen und politisch beeinflussen, auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Denn wer Angst vor dem Falschen hat, wird auch falsch entscheiden, wenn es um Zukunftsentscheidungen geht ...
Man sollte vielleicht nicht alles glauben was man denkt - aber noch viel wichtiger ist es, nicht alles zu fürchten, wovor man Angst hat.