Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 5. Dezember 2012 / 10:46 h
16 Tage Gewalt gegen Frauen waren in der Deutschschweiz kaum Thema. Männliche Schweizer Medienschaffende interessieren sich nicht dafür, weil damit kein Staat zu machen ist (schliesslich will man ja später Familie und nen PR-Posten bei Verwaltung oder Unternehmen). Schweizer Frauen-Medienschaffende tun ganz offensichtlich Teufel, jemals als Frau irgendein Frauenthema aufzugreifen, es sei denn um Antifeminismus (jüngstes Beispiel von Birgit Schmid im «Magazin») zu propagieren - Ausnahmen wie Mamablog oder Clack oder auch die Radioredaktionen seien hier extra erwähnt.
Grundsätzlich operieren Mainstream-Medien wie Finanz-, Pharma- und Rohstoffindustrie noch Hardcore, wenn es um Klischees, Frauenhass und geschlechtsspezifische Arbeitsweisen geht. Lesen Sie diverse Porträts einflussreicher Frauen und Sie realisieren sofort: Hier läuft alles schief. Doch neben diesem strukturellen Mediensexismus gibt es hierzulande noch andere Gründe, weshalb Frauen, Chancengleichheit, Gewalt gegen Frauen nie wirklich diskutiert, sondern nur klischiert und schlicht undifferenziert abgehandelt werden: Es liegt an den handelnden Personen.
Wie wir schon anhand des Qualitätsberichts zu den Schweizer Medien festgestellt haben, kriegen viele Medienschaffende 100 Punkte, wenn es ums Austeilen geht, 0 Punkte, wenn es darum geht, selber Kritik einzustecken. Medienkritische Stellungnahmen werden kaum publiziert, wer einmal eine Journalistin oder einen Journalisten auf Facebook, in einem Artikel oder in einer Diskussion etwas härter bezüglich Inhalten, Themen- oder fehlender Fragestellung angepackt hat, wird auf eine Racheliste der/des Betreffenden gesetzt. Dies erklärt schon teilweise, weshalb sich Medienmenschen nicht gerne mit Sexismus in den Medien beschäftigen, den sie ja selber produzieren.
Zusätzlich spielt es eine Rolle, dass Experten und Expertinnen, die sich mit Gewalt gegen Frauen auseinandersetzen, vielen Medienmenschen ebenso suspekt sind, wie alle Menschen, die sich für Andere und nicht ausschliesslich für sich selbst engagieren. Zyniker haben's eben nicht so mit wunderbaren, engagierten und fröhlichen Gutmenschen.
Dann gibt es noch einen dritten Grund: Es gibt eine ganze Reihe von Medienschaffenden, die nichts Anderes tun, als kritische Geister zu mobben. Je weniger Studium, je weniger Titel, je weniger Publikationen, je weniger eigenes gutes Aussehen und ja: Sie haben ihn erkannt: Den klassischen Medien-Mobber (auch nachzulesen bei Erich Kästners Fabian). Es gibt hierzulande einige Journis, die jahrzehntelange Rachefeldzüge gegen Menschen, die es gewagt haben ihre (verfehlten) Themen, ihre (völlig daneben liegende) Moderation oder ihr seichtes Buch zu kritisieren, planen.
Manchmal genügt eine einzige kritische Bemerkung, um einen ganz persönlichen Boykott für alle dem Konzern zugehörigen Mediengefässe zu kriegen. Als Politikerin können sie sich das nicht leisten - deshalb hüten sich Politisierende vor Medienkritik wie der Teufel vorm Weihwasser! Empfehlenswert für Frauen ist es auch, sofort auf die Avancen eines einflussreichen Journalisten hingebungsvoll zu reagieren. Tut die Frau dies nicht, wird ihr der verletzte Männerstolz noch Jahrzehnte später auf der Karriereleiter hinderlich sein, wenn der Bock zum Konzerngärtner aufgestiegen ist.
Dann: Frauen sollten nie, unter keinen Umständen, jemals, nie, wirklich nie, eine Medienfrau kritisieren. Denn falls dies passiert, schreien die Medien sofort «Zickenkrieg» und einige Männerjournis geilen sich an der gelungenen Zerstörung echter Diskussionen und echter Frauen auf.
Wer nicht spurt, wird boykottiert. Da reagieren viele Redaktoren wie Jelmoli, der beim TagesAnzeiger aufgrund einer kritischen Berichterstattung seinen Werbeetat kündigte. Und alle in diesem Lande schauen zu.ausser der Weltwoche (nur nicht bei sich selbst, aber immerhin bei den Anderen), den unabhängigen Lokalmedien und den unabhängigen Onlineportalen. Der Service publique funktioniert - mit Ausnahme von Radio - übrigens genau gleich. Da unterdrücken ganze Redaktionen gewisse Themen, boykottieren gewisse Experten und unterbinden wichtige Recherchen. So gibt es zwar Wahlumfragen und -Nachanalysen, aber keine systematischen Wahl-Medienuntersuchungen. Seit Jahren wird dies vorgeschlagen, seit Jahren unterbindet der Service publique mit seinen befreundeten Politikern solche Forschungen.
Neulich in der Redaktion: Königinnenkonkurrenz wird gnadenlos tot gestochen... /


So fehlen überall in der Schweiz die intelligenten Diskussionen, Diskurse, die spannenden Auseinandersetzungen. Experten und Expertinnen müssen sich gegenüber den Redaktionen äusserst konziliant, stromlinienförmig und anpasserisch benehmen - sonst werden sie nicht nur nicht mehr eingeladen, sondern auch in einschlägigen Wissenschaftskreisen schlechtgeredet. Wie oft schon war ich dankbar, dass ich von keinem Medium abhängig bin und dass ich neben meiner journalistischen Tätigkeit einen richtigen Beruf habe, der mich ernähren kann!
Claude Longchamp konnte sich zwar in der Minarett-Abstimmung eine krasse und viel diskutierte Prognosedifferenz erlauben - doch er blieb trotzdem der Hofpolitologe des Schweizer Fernsehens. Meiner Meinung nach zu recht, denn er macht es nach wie vor besser als alle anderen. Doch wehe, er hätte es gewagt, kritische Umfragen oder Medienartikel zum Club, zur Arena oder zur SRG-Leitung zu publizieren! Ich bin sicher, er müsste sich mit seinem Unternehmen von einem Tag auf den anderen völlig neu orientieren.
Erst die neuen Medien haben die Unabhängigkeit vieler Menschen gestärkt und machen es auch möglich, journalistisch tätig zu sein, selbst wenn man von den grossen Medienunternehmen boykottiert wird. Man sieht auch nur noch in den neuen Medien, in den privaten Fenstern, in den Kulturbetrieben die spannensten Themen, Experten und Diskussionen. Diesbezüglich sind nur noch die vielgescholtenen Gratismedien Avantgarde, die sich oft unbekümmert jung nicht um jahrelange Boykotte oder Feindschaften kümmern, sondern Trends aus den Social Media aufnehmen.
Was hat dies alles mit den 16 Tagen Gewalt gegen Frauen zu tun? Alles. Denn die fanden mainstreammedial nicht statt. Die Frauenmehrheit im Club brachte in diesen Tagen mal eine Sendung zum «halben Mann», die in der Arena eine Runde zur Familienförderung und die meisten Zeitungen begnügten sich mit Agenturmeldungen. Einzig das Radio erfüllte seinen Service publique auf gewohnt kompetente Art und herausragenden Journalismus. Auch einzelne Lokalradiostationen berichteten vereinzelt über die Veranstaltungen.
Spannend war auch, dies festzustellen: Zu Gewalt an Frauen wird hierzulande in den sogenannten Leitmedien nicht berichten, vor allem wenn eine Frauenmehrheit in den Redaktionen sitzt (und von denen gibt es ja noch nicht viele in diesem Land). Es scheint fast, als ob die Frauen an der Spitze von Kultur- und Politredaktionen alles daransetzen, unter keinen Umständen Gleichstellung und Gewalt an Frauen zu thematisieren oder - bewahre - gar eine Frau als Expertin zu fördern! So kommt fällt es den Journalisten nie ein, Frauen auch zur EU, zu Hedge Fonds oder zur Politik zu befragten.Männer reden zu allem, Frauen, wenn überhaupt, zu Frauenthemen. Doch auch dann geht es oft schief. Zu 40 Jahre Frauenstimmrecht schaffte es die weibliche Mehrheit in der Arena-Redaktion, nicht etwa die noch fehlende Gleichstellung, sondern die angeblich so furchtbare Unterdrückung der Männer zu thematisieren, grad so als ob die Frauen eigentlich ihr Stimmrecht abgeben sollten (was mir ein Weltwoche-Redaktor ja auch ans Herz gelegt hat.).
Die Theorie der Bienenkönigin, das heisst, dass eine Frau an der Spitze alle anderen Frauen tot sticht oder sie zu Arbeitsbienen degradiert, scheint vor allem in den Mainstream-Medien zu funktionieren. Je weniger über Frauen berichtet wird, umso mehr Frauen sitzen in der Redaktion - seltsam nicht? Dies macht mich punkto Frauenquoten nicht sehr optimistisch, so dass ich darauf pochen werde, endlich den Selbst- und Frauenhass unter Frauen wieder zur Diskussion zu bringen, sowie ein paar Facts und Basics zur Frauenbewegung und zur Machtverteilung. Denn momentan läuft ja ein medialer Pink-Diskurs, der streckenweise die 50er Jahre feministischer aussehen lässt!
Doch vielleicht bin ich zu hart, denn strukturelle Diskriminierung war noch nie ein guter Motor für Emanzipation. Ariel Levy nannte dieses Medienphänomen schon vor Jahren «Female Chauvinist Pigs» (und wird seither auch von vielen Medienfrauen boykottiert), Julia Onken erklärt dies in ihren «Rabentöchter» als klassische Entwürdigungsstrategie von und gegen Frauen.
Doch Erklärung hin oder her. Es ist das Eine, bei Gewalt an Frauen die Schultern zu zucken, doch das Andere, sich bei dem Thema mit Lifestyle und Oberflächlichkeit, peinlicher Anbiederung auf die Seite der Täterinnen und Täter zu schlagen. Doch immerhin: Birgit Schmid hat es mit ihrem Seicht-Gebrösel geschafft, dass 16 Tage Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und sei dies nur in der Form eines offenen Briefes an eine Zeitungsbeilage. Schmid hat es aber auch geschafft, dass man ihr Aufmerksamkeit schenkt für einen Text, der punkto Informationsgehalt selbst mit einer 150seitigen Abhandlungen zur Körpertemperatur von Nacktmullen nicht mithalten kann.