Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Donnerstag, 14. Februar 2013 / 14:42 h
Vielleicht wird es jetzt auch mal ganz laut gesagt: Die europäische Agrarpolitik ist eine Katastrophe. Sie wird nur noch durch die unglaubliche US-Agrarpolitik und chinesische Agrarpolitik übertroffen... oder eher unterboten?
Die europäischen Lebensmittel, die bis vor 20 Jahren teuer waren und in einem überschaubaren Raum hin- und hertransportiert wurden, machen 2013 teilweise halbe Weltreisen, bis sie vom Bauernhof auf unserem Teller landen. Sie sind Ausdruck einer Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sich nur um Profit und um Systemerhaltung kümmert, aber sicher nicht um die Menschen. Die Gesundheitsvorschriften sind dank der unzähligen Lobbyisten in Brüssel, Berlin, Paris und auch Bern dermassen kompliziert angelegt, dass, wenn es zum Skandal kommt, nie jemand zur Rechenschaft gezogen werden muss. Erinnern Sie sich an die diversen Dioxin-Skandale in Belgien? Genau. Gab es Konsequenzen? Nein. Legebatterien, industrielle Schlachthöfe, Massentierhaltungen von Säugetieren, die einen höheren IQ aufweisen als die meisten Medienproduzenten etc. ? irgendwelche Reformen? Nein. Angesichts dieser Appetitverderber sind die Pferde ja eigentlich ein richtiger Aufsteller. Immerhin wurde der Skandal tatsächlich von Kontrolleuren in Irland entdeckt ? wow. Da hat wohl Einer seinen Job tatsächlich ernst genommen oder ist zu wenig von der Lebensmittelindustrie geschmiert worden, als dass er die Befunde der Tiefkühlprodukte sach- und rechtgemäss den entsprechenden Stellen gemeldet hätte. Die Pferde im Rind ermöglichen zudem vielleicht endlich eine kritische Debatte über unsere postindustrielle Lebensmittelpolitik, ohne gleich in einer Vegetarier-Fleischfresserfraktion zu landen.
Pferde... mitunter auch «Rind» genannt, wenn sie in die Lasagne galoppieren. /


Das wäre dringend notwendig. Denn die EU-Agrarpolitik ist eine Katastrophe.
Wie kommt das Pferd in den irischen Findus?
Tja. Wir werden das nie erfahren. Denn bis das Fleisch auf Ihrem Teller landet, hat es eine Reise hinter sich, die selbst Odysseus' Expeditionen wie eine Renten-Werbetour aussehen lassen. Um das Billigfleisch haben sich unzählige Schlachter, Zerteiler, Spediteure und Verpackungsfirmen quer durch Europa gekümmert. Erinnern Sie sich an den Weg italienischer Wurstwaren und Sie wissen, was Sache ist...und ja: Geniessen Sie um Gottes Willen Ihre Salami in der Silserbretzel, deren Zusammensetzung auch einen Weg gegangen ist, den Sie, Ihre Kinder und Kindeskinder nie mit drei Weltreisen schaffen würden!
Massengesellschaften mit Billigprodukten zu mästen ist eben ebenso unappetitlich wie Massentierhaltungen, die für Massengesellschaften produziert werden. Hier braucht es eine grundsätzliche Änderung der Politik, Voraussetzung dazu auch eine Grundsatzdebatte.
Die Pferde im Rind zeigen die Verunsicherung, die uns durch die gegenwärtige Finanz-, Industrie- und Wirtschaftspolitik ständig aufgezwungen wird. Es gibt keine Verortung mehr, niemand ist verantwortlich, alle wursteln und wursten sprichwörtlich in einem System, das keine Politik für die Allgemeinheit, sondern lediglich den Profit für Einzelinteressen zulässt. Niemals galt mehr als heute: «Small is beautiful». Ich bin sicher, dass dies auch immer mehr europäische Konsumentinnen und Konsumenten beachten. Und ja: Wenn wir wollen, dass die EU-Agrarpolitik ändert, müssen wir auch bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einsetzen. Denn das Fleisch muss ja nur so billig sein und unter unwürdigen Bedingungen hergestellt werden weil die Menschen mit Billigjobs, Billigausbildung, Billigpolitik zugunsten eines menschen- und tierunwürdigen Systemerhalts abgespeist werden. Es wäre schön, wenn die, laut neusten Berichten, 9000 verschwundene Pferde in Schweden uns die Möglichkeit geben, diese Grundsatzdebatten über Liberalisierung, Privatisierung, Lebensmittel- und Arbeitsmarktpolitik in der EU nachzudenken.