Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Mittwoch, 12. Juni 2013 / 16:30 h
Es ist erschütternd, wie vergesslich die Gesellschaft doch in einer Zeit ist, in der es eigentlich möglich ist, jeden noch so alten Mist aus den Archiven rauszugoogeln. Das «Echelon»-Programm der USA, Grossbritanniens, Australiens, Neuseelands und Kanadas, das ja eigentlich dazu entworfen worden war, die Kommunikation im Ostblock während des kalten Krieges auszuhorchen und nach dessen Ende nicht deinstalliert, sondern zu Industriespionage umgenutzt wurde, demonstrierte schon vor Jahren, wie datenhungrig auch die westlichen Geheimdienste sind.
Wenn der nunmehr ehemalige «Booz Allen Hamilton»-Mitarbeiter Edward Snowden nun enthüllt hat, dass im Auftrag der US-Regierung die Datentresore der IT-Giganten durchleuchtet und ausgewertet werden, dann kann dies eigentlich nur so kommentiert werden: Ja klar, Jungs und Mädels, was habt ihr denn gedacht?
Schauen wir doch Facebook, Google und Apple an. Milliarden von Accounts mit einer vielfachen Anzahl von Datensätzen und Mails. Doch dank der sehr praktischen Cloud-Speicher-Lösungen sind nicht mehr nur jene Daten dort eingelagert, die etwas mit den entsprechenden Netzwerken und Dienstleistungen (wie Suchen im Internet) zu tun haben, sondern auch private und geschäftliche Korrespondenzen und Dokumente, die man praktischerweise, da man sie so überall und mit fast jedem Gerät abrufen kann, schnell auf die DropBox, die iCloud oder den Google Drive raufschmeisst. Und wenn man schon dabei ist, benutzt man auch noch den Chat-Service, so dass auch sämtliche Unterhaltungen, ob schriftlich, mündlich oder über Video-Chat auf den Servern der Beherrscher des digitalen Universums abgespeichert werden.
Mit Sicherheit befinden sich auf den Laufwerken dieser Firmen mehr Daten zu mehr Personen und mit mehr Details als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Zudem sind diese alle an einem Ort konzentriert. An einem Ort der unter der Jurisdiktion der USA steht, einem Land mit Geheimdiensten, die seit 2001 hinter jeder Ecke einen Terroristen stehen sehen (wobei es mitunter auch welche dort hat - und andere hinter Ecken stehen, welch vom CIA ignoriert werden).
Diese aus der ganzen Welt zusammengesammelten Daten, deren Menge vermutlich schon Zettabytes erreicht hat (das wären 10 hoch 21 Byte, also echt eine saumässige Masse), sind wie ein riesiger Honigtopf für die Geheimdienstfliegen, ein fast unwiderstehlicher Schatz mit dem Versprechen, nur mit den richtigen Algorithmen die Bösewichte der Welt (nach eigener Definition) aufzuspüren, zu stoppen, ja sie einzufangen und unschädlich zu machen.
Diese Daten, die ja angeblich nur auf einen speziellen Antrag herausgegeben werden, von denen allerdings im letzten Jahr kein einziger abgelehnt wurde, nicht abzuschöpfen, ist für eine Organisation wie die NSA fast unmöglich. Wie könnte man da widerstehen.
NSA-Hauptquartier: Spione lieben Daten - je mehr, desto besser. /


Vor allem, wenn man bedenkt, dass seit 2001 praktisch kein Politiker mehr sich gegen Nachrichtendienst-Ermittlungen auszusprechen gewagt hat, obwohl diese erst durch ihr Versagen 9/11 möglich gemacht hatten.
Zudem fliessen Milliarden von Staatsgeldern an private Firmen, welche dann eben im Auftrag der Nachrichtendienste, die das alleine nicht stemmen können, ihre Nasen in alle möglichen Datenbanken und Cloud-Speicher stecken. Und diese Firmen können mit diesem Geld viele Lobbyisten bezahlen, die noch mehr Überwachung von den Parlamentariern verlangen und auch bekommen.
Dabei ist wichtig zu realisieren, dass andere Geheimdienste genau so gerne diese und andere Daten haben wollen und scheinbar zum Teil auch bekommen (Belgien, Grossbritannien und die Niederlande können scheinbar auf PRISM zugreifen). Hacker-Angriffe aus China sind unterdessen ja schon Legion, die USA unterstützt Verbündete gegen iranische Cyber-Krieger, sogar die Schweiz will ein neues Cyber-Verteidigungsgesetz erlassen. In der EU sollen Daten auf Vorrat gebunkert werden. In China sitzen hunderttausende Internetüberwacher der Armee an ihren Bildschirmen und beobachten genau, worüber sich die Bürger austauschen.
Doch PRISM schlägt alles und zeigt exemplarisch auf, wie die Faulheit der Konsumenten, unsere bewusst geförderte Gier nach «Convenience» - Bequemlichkeit - den Beobachtern in den Glaspalästen der Geheimdienste in die Hände spielt. Wer selbst noch Harddisks kauft, gilt als Hinterweltler, Filme und Musik werden online angefordert und nur noch menschliche Auslaufmodelle wollen ihre Medien als Disks zu Hause stehen haben. Und genau auf die selbe Art und Weise soll auch der ganze Rest des Lebens in die Cloud verlagert werden, einen Ort, von dem wir weder wissen, wo er ist, noch wer sonst noch an ihn ran kommt und ein Ort, an dem uns mit einem Tastendruck eines Unbekannten alle Informationen gestohlen oder gar vernichtet werden können, oder daraus eine Anklage erstellt werden kann.
Es gibt einige Methoden, fast die gleiche Bequemlichkeit zu haben - einfach nicht immer gratis. So kann man die eigene «Cloud» mit Hilfe von Netzwerkspeichern und speziellen Programmen einrichten, man kann vertrauliche Emails verschlüsselt senden und darauf verzichten, sein Mail-Konto bei Google, Apple, Yahoo oder Microsoft einzurichten, auch wenn es eventuell ein paar Rappen mehr kostet. Zudem könnte man erwägen, Filme, Bücher und Musik zumindest als echte Dateien, die auf den eigenen Harddisks lagern oder gar als Bücher und Scheiben zu kaufen.
Doch kaum einer wird das Geld in die Hand nehmen oder sich diese Mühen machen, nur um sein Leben weniger transparent für die Spione zu gestalten. Solange niemand das Gefühl hat, dass diese Beobachtung zu seinem Nachteil sein wird, wird er trotz der Medienberichte sein gewohntes Verhalten kaum grundlegend ändern.
Das kurioserweise herrschende Vertrauen in die Datenriesen mag nun zwar durch PRISM gebrochen sein, doch es werden nur wenige ihr Online-Verhalten grundsätzlich überdenken oder gar abändern: Bequemlichkeit schlägt Privatsphäre bei uns immer noch um Längen und erst wenn die Geheimdienste zuschlagen sollten, wird mancher darauf kommen, dass er sein Leben, Denken und Handeln vielleicht besser nicht auf dem Tablett den Schnüfflern der Welt präsentiert hätte.