Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 20. November 2013 / 09:30 h
In jedem anständigen und unanständigen Blatt reden sich die freien Sexarbeiterinnen, respektive ihre Medienvertreter, den Mund fusselig, dass sie eigentlich den genialsten Job dieser Welt hätten. Lieber einem Stammkunden «hingebungsvoll den Schwanz lutschen» als «an einer Kasse zu sitzen» (Zitat). Mitlerweile sind es sogar schon die Freundinnen, die mir von Sex-Arbeit vorschwärmen und sich Feministinnen nennen, aber im gleichen Atemzug Femen etwas «schwierig» finden.
Habe ich mir mein Studium noch mit einem Kassenjob finanzieren können, so haben sich die Zeiten ganz offensichtlich geändert. Die Arbeit an der Kasse ist grösstenteils zum Maschinenlesen verkommen, sie ist saumässig schlecht bezahlt und die Arbeitsbedingungen meist neoliberal unmenschlich. Trotz alledem: Ich würde gerne in einer Umfrage unter allen Kassierern und Kassiererinnen herausfinden, ob sie, wenn sie mehr verdienen würden und gute Stammkunden hätten, auch lieber Schwanz, Mund, Möse, Titten und ihren Arsch bereitstellen, als hinter der Zählmaschine zu sitzen. Und kommen Sie mir nun nicht damit, dass ich wirklich andere Begriffe hätte verwenden können und arg brutal in meiner Sprache sei. Vögeln ist Vögeln und so zu tun, als würden dabei lustige Bestäubungsspielchen stattfinden, mag Rosamunde Pilcher glauben, aber bezahlte Sex-Arbeiterinnen sollten eigentlich ehrlicher sein. Fünf Stammkunden, die zahlen und mit denen man regelmässig Sex hat, klingt doch ziemlich verlockend, nicht? So kann die im Menschen angelegte Promiskuität in regelmässigen Beziehung ausgelebt und dabei sogar noch Geld verdient werden. Bei näherem Hinsehen also gar nicht schlecht und genau dem entsprechend, was die Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch «Wenn Liebe weh tut» beschreibt.
Also: Prostituierte aller Länder vereinigt Euch! Klar doch: Die ausgehungerten Junkies oder die vom lieben Onkel im Dorf verschleppten Jungnutten und die keine westeuropäische Sprache sprechenden 14-jährigen Mädchen stören etwas das Berufsbild. Doch das ist bei den Bankern nicht anders. Schwarze Schafe gibt es doch überall, nicht? Aber deshalb gleich den tollen Beruf der Sex-Arbeit zu verbieten? Tsssss, wo kämen wir denn da hin! Ich bitte Euch. Sex ist der Zukunftsmarkt, schliesslich ist mein Körper mein klingendes Kapital. Und wenn's mit dem Sex nicht mehr geht, kann ich immer noch meine Haare, meine genetisch hochwertigen Eierstöcke, meine Augenlinsen, meine Niere oder sonst irgendeinen verwertbaren Körperfleischanteil verkaufen. Und ja doch: Leihmutterschaft ist auch geil. Ich bin sicher, es gibt US-Leihmütter, die entsetzt wären, wenn wir ihnen sagen würden, wir wollen die Leihmutterschaft verbieten. Sie würden schliesslich arbeitslos, hätten sie diese Einkommensquelle nicht! Zudem wäre verbotene Leihmutterschaft gesundheitlich viel gefährlicher als legale. Deshalb lautet die Theorie: Alle Verbote schaden. Deshalb: Weg mit allen vorgestrigen Regeln!
Damit künftige Generationen besser auf ihren Beruf vorbereitet werden, schlage ich vor, spätestens ab drei Jahren allen Mädchen pinkfarbige Tangahöschen und einen Spiel-BH aufzusetzen. Barbie müsste noch mehr Nuttenklamotten kriegen und Ken trüge wie ein Freier den Schlagstock als Gadget. Stellen Sie sich dieses Marktpotential vor, geil! In einem ausgeklügelten Lehrplan könnten die Mädels und die schwulen Jungs und künftigen Freier einem strengen Gesundheitsprogramm unterzogen werden, denn hey: Sexarbeit ist anspruchsvoll! Beim Turnen wären dann alle Bewegungen zu fördern, die eine künftige Sexarbeiterin oder Sexarbeiter perfekt auf die auf sie wartenden Anstrengungen vorbereiten. Die kurze Zeitspanne von 0 bis 16 Jahren müsste ausschliesslich dazu verwendet werden, die Körper der jungen Menschen auf ihre künftige Kapitalverwertung zu trimmen. Die Hübschen können in die Sexarbeit, die weniger Hübschen dürfen ihre Niere möglichst marktgerecht verkaufen. Alles, nur nicht an die Kasse!
Zudem sollten Mädchen ab 9 Jahre zunächst «Pretty Women» und dann «Deep Throat» und neu auch «Jeune & Jolie» als Pflichtfilme konsumieren. «Baise-moi» wäre absolut verboten und erst als Sondertraining für 16-Jährige zugelassen. Sexarbeiterinnen würden alle Schulen besuchen und vom guten Verdienst mit alten Männern und ihren Ehefrauen (à la Charlotte Roche) schwärmen, die schliesslich ihre «Liebe» noch etwas aufpeppen müssen.
Wo sich künftige Sex-Arbeiterinnen auf ihr Berufsleben vorbereiten können. /


Und denken wir an all die überaltete Bevölkerung der Industrieländer! Das Potential für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ist gewaltig! Gleichzeitig können alle Asylgesetze gelockert werden, denn freier Sex und freier Verdienst sollen schliesslich auch der globalen und freien Marktwirtschaft zugute kommen.
Wem käme denn da in den Sinn, übers Menschenbild nachzudenken und allenfalls ein Entsetzen über die Zweckdienlichmachung von Menschen zu reden? Tssss, wie «letztes Jahrhundert» ist das denn?
Prostitution ist unser aller Zukunft. Sich jetzt noch zu wehren, setzt nur Schläge ab. Zwar nicht so brutale wie die eines Zuhälters, den es ja bei Sex-Arbeiterinnen nicht wirklich gibt, da sie alle so frei und selbständig sind. Aber trotzdem. Jede Frau, die keinen Sex gegen Geld anbietet und sich wagt, darüber eine Meinung zu bilden, wird durch die Medien geprügelt. Was allen anderen Frauen dann zeigt: Geht es um Prostitution, bitte Klappe halten! Wegsehen. Nicht mitdenken. Am besten nur den Arsch hinstrecken. Und dann die Sex-Arbeit loben. Denn alles andere ist berufsschädigend. Lesen Sie mal die Foren online, die von Google dann netterweise ganz oben auf dem Frauenrating oder in Wiki als einzigen Link platziert werden. Egal in welcher Position sie tätig sind. Als Frau können sie, wenn sie gegen Prostitution reden, nur verlieren. Selbst wenn es darum geht, Kinder vor regelmässiger Vergewaltigung zu schützen...hey, keine Bevormundung bitte und schon gar nicht bei Mädchen! Schliesslich hat jede Frau, egal ob sie 12, 14 oder 24 oder 44 ist, ein Recht auf ihren Körper und dessen Mehrwert!
Werte Leserin und werter Leser: Sie sind schockiert über meine Zusammenhänge, meine Sprache und meine Denkweise? Interessant. Offenbar schockiert Sie nur die Möglichkeit eines Verbots der Prostitution! Dann greifen Sie in die Tasten und wehren sich vehement für die Frauen! Nur keine Opfer bitte, echt! Ich finde das auch super. Zudem möchte ich angesichts der Berichte aus Talkshows und Printmedien mit den tollen Sexarbeiterinnen allen Töchtern, Schwestern, jungen Müttern, Tanten und Nichten dieser Welt ein Umschulungsprogramm anbieten. Denn wie ich seitenweise lesen darf, ist Sexarbeit grösstenteils sicher, sauber und gut bezahlt. Auch der «Tatort» bringt in jeder zweiten Sendung die gutverdienenden Call-Girls, die nur ab und an, und dann meist von Rivalinnen, aus dem Weg geräumt werden. Von welchem klassischen Frauenberuf kann man denn noch behaupten, er sei super entlöhnt, gesund und clean?
Klassische Sex-Arbeiterinnen schwärmen immer von der Arbeit mit ihren Stammkunden, die eigentlich nichts anderes darstellt als legale Polygamie mit prallvollen Taschen. Da von «Prostitution» zu reden, ist echt bescheuert. Sex gegen Geld ist, wenn es sich dabei um Stammkunden handelt oder innerhalb therapeutischer Begleitung stattfindet, sicher einer der Berufe, der vielen Frauen mehr Spass macht als andere. Dies aber gleichzusetzen mit Flat-Rate Bordellen, Strassen- und Junkiestrich erinnert an eine 5th Avenue-Hausbesitzerin, die in indischen Slums vom Vorteil einer Villa in Stadtnähe schwärmt.
Zum Abschluss des zweiten Akts von Faust II wendet sich Mephisto an das Publikum: «Am Ende hängen wir doch ab von Kreaturen, die wir machten.» Wir haben ein Menschenbild geschaffen, dessen Körper, Politik, Denken mit Haut und Haaren zum Verkauf angeboten wird und kurz vor dem Ausverkauf steht. Mit Kant bin ich immer noch der Meinung, dass ein Mensch einen anderen Menschen nicht zum Zweck machen soll. Schon gar nicht, wenn es darum geht, einen anderen Menschen als Ware zu konsumieren. Mit Kant plädiere ich für eine Urteilskraft und einen Sinn für Realität. Das ist des Pudels Kern in der Prostitutionsdebatte, in welcher es mit Sicherheit keine «richtige» Prostitution im falschen Geldwertsystem geben kann.