Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 4. Dezember 2013 / 14:32 h
Die Wettbewerbsfähigkeit verlangt nach vergleichbaren Daten, da darf selbstverständlich auch die Bildung nicht ausgeschlossen werden. Dass damit lediglich Handelsstempel ausgetauscht werden, ist keinem eine müde Zeile wert.
Pisa wird wie alle grasssierenden Ratings unkritisch wiedergegeben. Man freut sich über das gute mathematische Ergebnis der Schweiz und lacht über Deutschland mit Schadenfreude. Egal ob der grosse Kanton im Norden zu den stärksten Volkswirtschaften weltweit gehört, egal ob Deutschland mit seinem noch funktionierenden dualen Bildungssystem ganz Europa aus dem Schuldentief holt: In der Pisa-Studie reicht es dem Erfolgsmodell Deutschland im besten Falle ins Mittelfeld. Dafür ist Japan Spitze - eine Volkswirtschaft, die seit Jahrzehnten stagniert, an Überalterung und verkrusteten Hierarchien krankt und erschreckend hohe Selbstmordraten hervorbringt. Ein Schelm könnte nun Deutschland gratulieren und hoffen, dass es in der Pisa-Manie nie an erste Stelle schafft.
Das ist das Problem an Ratings. Da wird etwas vermessen, ohne in einen Kontext gesetzt zu werden. Mit Absicht selbstverständlich. Denn ob das, was Pisa misst, für den persönlichen Erfolg relevant ist, oder gar für einen nationalen, bleibt völlig im Dunkeln. Gerade in der Mathematik ist belegt, dass Pisa-Rechnen überhaupt nichts über den Qualitätsstandard von Mathe aussagen. Wolfram Meyerhöfer, Paderborner Mathematikdidaktiker weist sein Jahren nach, dass Pisa-Fragen einem «Mathematismus» frönen, der wie die Fragen in Trivial Pursuit nur noch Testbares testen und dieses dann auch noch zur Bildung erklären.
Dank der SAT-Scores seit langem normaler Anblick in den USA, dank Pisa auch bald in Europa: Wissenszombie. /


Pisa ist nichts anderes als ein Warentest für Kinder. Wetten, dass in fünf Jahren die Kapitalkörper Kinder noch mit anderen Methoden vermessen werden?
Damit geht das Wichtigste der Menschen, nämlich die Autonomie, die Freiheit und die Neugierde verloren. Denken passiert nicht mehr in Zusammenhängen, sondern mutiert zum Fitnesstraining.
Wie meint Adorno in seinen 'Minima Moralia'? «Die jeweils dem fortgeschrittensten technischen Entwicklungsstand angemessenen Verhaltensweisen beschränken sich nicht auf die Sektoren, in denen sie eigentlich gefordert sind. So unterwirft Denken sich der gesellschaftlichen Leistungskontrolle nicht dort bloss, wo sie ihm beruflich aufgezwungen wird, sondern gleicht seine ganze Komplexion ihr an.»
Intelligenz, welche sich u.a. durch die eines eigenen Urteils aufgrund von Fakten und Argumenten äusserst, wird in den Pisa-Fabriken eingesperrt, misshandelt und letztlich zur Hinrichtung freigegeben. In einem schönen Interview auf Tagi-Online benennt die Sinologin Andrea Riemenschnitter, weshalb gerade in China Kinder wie Roboter nur noch aufs Auswendiglernen trainiert werden. Sie sagt: «Es wäre nicht gut, wenn der Westen nun auch seine Kinder in ähnliche Wissensfabriken stecken würde. Denn die freien Denkräume, die wir über die letzten Jahrhunderte geschaffen haben, gehen dabei verloren. Es ist hauptsächlich ein reproduktives Wissen, das in China durch Auswendiglernen gefördert wird»
Tja. Zu Pisa gäbe es viel kritisches zu sagen und nicht nur am Beispiel Chinas. Doch in der Schweiz nimmt der Vermessungswahn an Tempo zu. Wer Bildung verwertet, verwaltet, misst und in eine Rangliste setzt, produziert nur noch marktgerechte Menschen für Gegenwart und Zukunft. Und glauben Sie mir: Denen wollen Sie, solange Sie können, schleunigst aus dem Weg gehen. Zumindest, wenn Sie sich selbst nicht schon zu den lebenden Hirntoten, diesen Wissenszombies zählen.