Peter Achten / Quelle: news.ch / Montag, 19. Mai 2014 / 08:31 h
Der frühere Präsident des Internationalen Kricketrates (ICC) formulierte es schon vor Jahren so: «Als globales Spiel kann sich Kricket nicht betrachten, solange ein Fünftel der Menscheit von diesem Sport keine Notiz nimmt». Mohammad Aminul Islam geht noch einen Schritt weiter. «Damit Kricket noch vor dem Fussball der Weltsport Nummer 1 wird,muss China den Sport adaptieren», sagt der ehemalige Captain des Bangladesh-Nationalteams am Cricket Worldcup 1999.
Kricket ist kompliziert und mit seinen verschlungenen Spielregeln einem Fussballfan kaum nahe zu bringen. Ein britischer Kenner der Materie umschrieb für jene, die schwer von Begriff sind und vor allem das für Kontinental-Europäer eher seltsam anmutende, betuliche Spiel zusammenfassend so: Kricket ist eine individuelle Sportart im Team-Format, welche hohe Selbstdisziplin, höchste Konzentration, Spielwitz, Athletik und hartes Training erfordert.
Das aristokratische Spiel von den britischen Inseln trat im Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus des 19. Jahrhunderts den Siegeszug um die Welt an. Überall dort, wo sich Briten festsetzten, wurde Kricket heimisch. In der ehemaligen britischen Kolonie Nordamerika entstand daraus Baseball. In Asien jedoch wird bis zum heutigen Tag «richtig» Kricket gespielt, und das mit Leidenschaft. Kinder spielen überall nicht Fussball sondern Kricket. Zum Beispiel in Neuseeland und Australien, aber auch in Indien, Pakistan, Bangladesh, Sri Lanka, Myanmar oder Malaysia. Selbstverständlich wird auch in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong Shen Shi Yundong - wörtlich das Noble Spiel - gepflegt. Heute ist die Administrative chinesische Sonderzone Hongkong neben China eigenständiges Mitglied im Internationalen Kricketrat ICC. Zwischen 1858 und 1948 gab es sogar den Shanghai Cricket Club, denn ohne Kricket konnten Engländer nirgendwo glücklich werden.
Mohammad Islam ist derzeit im Reich der Mitte unterwegs, um im Auftrag des Asiatischen Kricket Rates (ACC) das Spiel weiterzuentwickeln und zu professionalisieren. Er stösst auf offene Ohren. China ist seit zehn Jahren ICC-Mitglied und unterhält Teams in neun Städten, darunter Peking, Shanghai, Guangzhou. Die Kricket-Hauptstadt freilich liegt in der nordöstlichen Grossstadt Shenyang. Dort wird am besten gespielt. International leistet sich China eine professionelle Nationalmannschaft. Am ersten internationalen Einsatz 2009 reichte es nach verlorenen Gruppenspielen selbst gegen die Malediven am Schluss gerade noch für einen Sieg gegen Myanmar.
2014 am ACC-Twenty20-Cup gingen alle Matches verloren, u.a. gegen Afghanistan, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Bahrain. Aber der Ehrgeiz der Verbands-Mandarine der Chinesischen Kricket-Vreinigung ist gross und die Ziele sind hochgesteckt.
Kricket Test Match (Australien-Neuseeland): Zweifel, ob es China bis 2019 in die höchste Spielklasse schaffen kann. /


Dank breiter Förderung bis hinunter in die Schulen soll bis im Jahre 2019 sogar die Qualifikation für den Cricket World Cup, die Weltmeisterschaft des Noblen Sports, erreicht werden.
Das sind hoch greifende Ziele. Der Globale ICC-Entwicklungsmanager Mathew Kennedy sagte schon 2006: «Kricket in China zu entwickeln, ist ein 20-Jahre-Projekt». Doch schon heute träumt der ehemalige Bangladesh-Kricket-Captain von einem Match China gegen Indien. Man stelle sich vor, sagt der dank Kricket zu Ruhm und Wohlstand gekommene Bangladeshi begeistert: «Bei über eine Milliarde Fernsehzuschauer werden sich Sponsoren und Werber darum reissen, einige Sekunden einer solchen Übertragung zu ergattern».
Doch viele asiatische Kricket-Fans halten nicht viel vom prognostizierten Aufstieg Chinas im Noblen Spiel. Falls Kricket hingegen wie bereits vor 100 Jahren wieder zum Olympischen Sport geadelt werden sollte, dann freilich stünden die Chancen für eine rasche Entwicklung in China wieder besser. Sobald es nämlich um Olympische Medaillen geht, wird das Sportministerium zum höheren Wohl des Vaterlandes meist automatisch aktiv.
Ob der aristokratische Sport aus der Kapitalisten-Hochburg England in der «sozialistischen Marktwirtschaft Chinesischer Prägung» ein Erfolg wird, darf bezweifelt werden. Es fehlt ganz einfach die Tradition. Kaum jemand wird, sollte China einmal auf höchster Kricket-Stufe angelangt sein, fünf Tage lang einen Test-Match verfolgen wollen. Die Prognosen, dass Kricket einst Fussball als populärste Sportart ablösen werde, sind mehr als gewagt. Fussball ist, trotz all der Skandale der letzten zehn Jahre, in China populär wie nie zuvor. Zwar behaupten die Engländer, den Fussball «erfunden» zu haben. Das mag für die moderne Spielart zutreffen. Die Chinesen freilich sind schon vor über zweitausend Jahren nachweislich ledernen, kugelartigen Gebilden hinterhergerannt. Und haben getreten und vor allem nachgetreten...
Die Europäischen Profiligen sind immens populär und werden wöchentlich am Fernsehen gezeigt. Illegale Wetten machen hohe Umsätze, obwohl ja das Glücksspiel in China - mit Ausnahme von Macao und Hongkong - streng untersagt ist. Die Stars von Real Madrid, Chelsea, Juventus Turin oder Bayern München jedenfalls sind bekannter als das einheimische Gewächs von Beijing Guo'an oder Guangzhou Evergrande. David Beckham ist im Reich der Mitte so bekannt wie Staats- und Parteichef Xi Jinping, selbst ein bekennender Fussballfan. Xi liess sich auf seiner kürzlichen Europareise in Frankreich, Holland und Deutschland mit offensichtlichem Vergnügen auch mit Fussballgrössen ablichten.
In China selbst wird unter dem neuen Präsidenten der Chinesischen Fussballvereinigung (CFA), dem ehemaligen Ping-Pong-Champion Cai Zhenhua, wieder die Jugend gefördert. Ziel, ähnlich wie beim Circket, die Qualifikation für eine der nächsten Fussball-Weltmeisterschaften. Jeder Chinesische Sportfan würde darauf wetten, dass es die Fussballer noch lange vor den Cricketeers schaffen werden.