Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 5. November 2014 / 11:41 h
Prof. Dr. Naomi Oreskes ist Geologin und Historikerin. Sie legte im August dieses Jahres ein Buch vor (Macchiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens), das beschreibt, wie rechtsextreme, rechtspopulistische, neoliberale und konservative Kreise seit Jahrzehnten entscheidende wissenschaftliche Forschungsprojekte lahmlegen, bestreiten und wenn nötig, deren Forschungsleiter entfernen. Verschwörungstheorien? Nein. Gut dokumentierte historische Fakten, aus denen die auf Live-Fetischismus getrimmten Journalisten im besten Falle mit «unterschiedliche Meinungen» reagieren, im Normalfall aber gegen die Wissenschaftlerin agieren. Oreskes wurde bedroht, die Universitätsleitung bestürmt, ihr die Lehrbefugnis zu entziehen, sie verlor wichtige Forschungsetats. Dabei ist Oreskes sehr moderat in ihrem Ton und präsentiert ihre schockierenden Ergebnisse völlig kühl, nachvollziehbar und wissenschaftlich fehlerfrei. Sie könnte auch ganz anders, denn Oreskes präsentiert sehr starken Tobak.
Seit Jahren blockiert eine kleine, globale Lobby aus der amerikanischen Tabak-, Atom- und Pharmaindustrie relevante, geprüfte und wissenschaftliche Erkenntnisse für die Gesundheits-, Energie- und Wirtschaftspolitik. Die Strategie ist so simpel wie erfolgreich: Streue Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen, privatisiere zu einem grossen Teil die Universitäten (Stichwort Drittmittel), so dass diese nur noch Forschungen im Dienste der Industrie präsentieren und diskreditiere jeden Forscher, der beispielsweise klare Beweise für die Manipulationen von Forschungsergebnissen vorlegen will. Besonders toll wird dieses dreckige Spiel in den USA gegen die Klimaforschung betrieben. Hierzulande findet es vor allem gegen das europäische Wohlfahrtstaatsmodell statt.
Das infame System, Klimaforscher zunächst in den USA, dann via Forschernetzwerk auf der ganzen Welt, mit absurden Behauptungen zu diskreditieren, stammt - wie Oreskes dies eindrücklich belegt - direkt aus der Tabakindustrie. Doch egal ob Tabak, Atom oder CO2-Emissionen. Es geht immer darum, die öffentliche Meinung so zu manipulieren, dass wegen «Zweifel» an wissenschaftlichen Grundlagen, jede vorausdenkende Klimapolitik oder nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verhindert wird. Dass der Klimawandel menschengemacht ist und von der Industrie mit ihren Emissionen ausgelöst wird, ist längst erwiesen. Da einige Details indessen umstritten sind wie beispielsweise der Einfluss von Wolken auf Klimabewegungen - ziemlich irrelevant, trotzdem - behaupten emeritierte Öl- und Tabakprofessoren wie beispielsweise Fred Singer, dass das Ozonloch nicht «bewiesen» sei. Damit erreichen die Forscher mithilfe von Thinktanks und gesponserten Universitäten, dass nichts gegen den Klimawandel unternommen wird.
So wird die Wissenschaft mit gekauften Wissenschaftlern konsequent bekämpft.
Wissenschaftlerin und Wissenschaftskritikerin Naomi Oreskes: «Viel Glück uns allen». /


Der Öffentlichkeit wird mittels williger Vollstrecker in den Medien eingeredet, dass die Frage, ob Tabak schädlich sei, ob Autos das Weltklima verändern, ob Grossunternehmen das Trinkwasser vergiften, nicht geklärt sei. Wagt es dennoch eine Forscherin, eigene Resultate zu popularisieren, wird alles daran gesetzt, sie mittels Verleumdung oder Rufschädigung zu diskreditieren. Ganz abgesehen davon, dass ihr sämtliche Forschungskredite gesperrt werden was im Zuge der Bolognasauce an den Universitäten relativ leicht geworden ist. Diese Taktiken sind auch in der Schweiz sehr populär. Auch die sogenannten Think Tanks, die in den USA die politische Agenda mit ihren ideologischen Positionen einbetonieren, bevölkern mittlerweile auch die Schweiz. So fördert Avenir Suisse nicht nur die Publikationen, Studien oder sonstigen Auftritten neoliberaler Politologen, Staatsrechtler und Ökonomen, sondern besetzt überall und oft relevante Medienposten, entweder direkt mit ehemaligen Mitarbeiterinnen oder indirekt, mit Mitgliedern diverser Arbeitsgruppen oder Kongressreferenten. Dies sind Prozesse, obwohl relevant, die in der Öffentlichkeit aber kaum zur Sprache kommen.
Da in den Medien mittlerweile völlig losgelöst von der Qualität oder gar der Existenz irgendwelcher Publikationen, Titel oder wissenschaftlicher Expertise, jeder als Experte gilt, der sich beim (Chef)Redaktor(in) beliebt machen konnte, machen «wissenschaftliche» «Studien» die Runde, die bei näherer Betrachtung nur neoliberaler Ideologieschrott sind. Werden diese als solche entlarvt (wie beispielsweise die seltsame Smartevote-Vermessung von linken und rechten Positionen) schlägt man selbstverständlich nicht die Ideologie-Experten, sondern die Übermittler der für die Demokratie beunruhigenden Zusammenhänge. Es ist einzig noch den offiziellen, hoch seriös arbeitenden öffentlichen Stellen wie beispielsweise dem Bundesamt für Statistik zu verdanken, dass die relevanten politischen Zusammenhänge in der Schweiz nicht vollständig diesen manipulierten Umfragen, Rankings und Publikationen überlassen werden.
In den USA gibt es aber dank der Privatisierung des Bildungssystems und der Politisierung der statistischen Ämter, keine nennenswerte öffentlichen Forschungsstätten mehr. So erstaunt es niemanden, dass eine Joni Ernst aus Iowa ihre Wahl in den Senat mittels eines Schweinestalls gewann. So ist auch niemand schockiert, dass James Inhofe (Oklahoma) fortan ausgerechnet den Umweltausschuss leiten wird. Ein Senator, der den Klimawandel explizit als «Betrug» charakterisiert.
Seit Jahrzehnten werden in den USA und in der Schweiz Experten gefördert, deren ideologisches Ziel es ist, die Wissenschaft durch Zweifel und Fehlinformationen so zu diskreditieren, dass sie niemals mehr Grundlage für einen demokratischen Politikwechsel sein kann.
Um auf meine Eingangsfrage zurückzukommen: Nein. Kein Zufall. Wer Wissenschaft wie Lobbyismus betreibt und in den Medien dafür frenetisch gefeiert wird, erntet antidemokratische und menschenverachtende Politik. Die neoliberalen Wissenschaftler und Experten werden sich leider nicht nur in den USA, sondern wahrscheinlich auch am 30. November 2014 in der Schweiz frenetisch feiern dürfen. Doch die naiven willigen Vollstrecker der Mainstreammedien werden weiterhin apolitische Klischeetitel setzen werden wie: «Junge sind stimmfaul», «Schöne werden besser gewählt», «Die Linke politisiert am Volk vorbei» oder «Auch die Mitte kennt Dichtestress». Mit Blick auf den 30. November und die USA sage ich deshalb mit Naomi Oreskes (Süddeutsche Zeitung, 3.11.2014): «Viel Glück uns allen!»