Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 26. November 2014 / 15:02 h
Drei Wochen im Amt und schon einen Misstrauensantrag. Selbst wenn dieser aus der rechten Ecke von Marie Le Pen, der der britischen Grösse nachtrauernden UKIP und der Goldsekte AfD stammt: Dies ist ein neuer Rekord in der Geschichte europäischer Regierungskrisen. Drei Wochen mit neuem europäischen Regierungschef und schon auf der Kippe: Papst Franziskus soll es richten. Worum geht's also?
Die Lux-Leaks, von denen man mit Fug und Recht behaupten kann, sie hätten schon Bekanntes endlich in die öffentliche Debatte eingebracht, werden von den Abgeordneten wie «Business as usual» behandelt, sprich: «Niemand trägt politische Verantwortung. Niemand ist der Böse.» Schon gar nicht der neugewählte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der seinen Zwergstaat während Jahrzehnten zu einem milliardenschweren europäischen Steuerdieb hochregiert hat. Die deutsche Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms, die wahrscheinlich von deutschen Wählerinnen und Wählern nur deshalb nach Strassburg gewählt wurde, um einer nachhaltigen Wirtschafts- und Umweltpolitik Genüge zu tun (sic!), meint: «Wir glauben, dass Jean-Claude Juncker (..) mit seiner gesamten Kommission heute dafür steht, die Dinge zu verändern, die in Luxemburg, aber auch in anderen Ländern (...) schief gegangen sind.» Glauben statt Verändern war schon immer eine effiziente Herrschaftsform. Da wird soviel geglaubt, dass die Demokratie darunter beerdigt wird. Wohl deshalb huldigten Papst Franziskus die europäischen Abgeordneten mit Ovationen. Er brachte: «Orientierung in Zeiten der Orientierungslosigkeit» (Martin Schulz, Parlamentspräsidente und ach ja, SPD).
Wie bitte?
Die Brüsseler Mechanik bürdet ihren europäischen Wählerinnen und Wählern Steuerpakete auf, die sie als Friseuse, als Taxifahrer, als Lehrerin, als Bäcker, als Sozialarbeiter, als Ingenieurin kaum stemmen können. In Spanien und Griechenland treiben die Brüsseler Finanzdiktate massenhaft ehrliche Menschen an den Rand des Abgrunds und darüber hinaus und das europäische Parlament sucht Beistand beim Papst während Juncker so beichten kann, dass ihm alles vergeben wird? In Strassburg mahnte Franziskus, dass Europa «krank» sei und rief zu einer menschlichen Flüchtlingspolitik und eine Eindämmung des freien Marktes auf. Ja, super! Wie wäre es mit der Umverteilung von reich zu arm? Oder damit, den Petersdom sofort für syrische Flüchtlinge freizuräumen? Mehrere Tausend Flüchtlinge fänden hier locker Platz und Essen gäbe es genug - schliesslich ist die Katholische Kirche ein Milliardenunternehmen, das sich endlich mal um seinen Wirtschaftsauftrag «Barmherzigkeit» kümmern könnte. Franziskus, der alte Mann sorgte sich in seiner Rede auch um das alternde Europa, das mehr und mehr einer «Grossmutter» gleiche, die nicht mehr «lebendig und fruchtbar» sei. Dass Grossmütter seit Jahrhunderten mehr für die Demokratie und die Menschen getan haben als jeder ehemalige oder amtierende Papst, lässt der Argentinier ausser acht. Mehr noch: Er lästert damit indirekt gegen die «Asociación Civil Abuelas de Plaza de Mayo (Vereinigung der Grossmütter der Plaza de Mayo)», die jahrzehntelang gegen die argentinische Militärdiktatur demonstrieren (um die Kinder ihrer gefolterten und verschleppten Kinder wiederzufinden). Bei diesem Papst ist nichts zufällig. Deshalb ist bei seiner unglaublichen Frauenverachtung zum Bild der Grossmütter aufzuhorchen. Er nannte sie: «nicht mehr lebendig und unfruchtbar.» Könnte es sein, dass hier nicht nur die Grossmütter seiner Heimat diffamiert werden sollten, sondern auch der «Hexenhammer» aufgewärmt wurde? Dort waren es nicht zufällig die «alten Frauen», die den Hexentyp schlechthin verkörpern sollten. Ausserhalb inkarniert die «alte Frau» jenseits ihrer Geschlechtlichkeit offenbar auch heute noch eine wahrhafte Bedrohung für die Welt. Eine echt psychotische Vorstellung, die der Papst in Strassburg lieferte und niemand merkt dies.
Verstehen viel vom Theater - wenig vom demokratischen Handeln: Papst Franziskus, Jean-Claude Juncker /


Im Gegenteil: Die europäischen Abgeordneten klatschen dem alten Mann, dem Papst, dem Vorsteher einer Institution, die unsägliches Leid von Abertausenden von Menschen, vor allem von Frauen zu verantworten hat, fröhlich und aufmunternd zu!
Dass diese Erzählform, was hier eigentlich in Strassburg zelebriert wird, medial nirgends Raum findet, ist bezeichnend. Dabei genügt es, hinzuschauen und genau hinzuhören. Zwei alte Männer zelebrieren ein System der ewig herrschenden Untoten. Diskursanalytisch erinnern die Rede von Franziskus und die Antworten von Juncker in diesen Tagen an ein Zitat von Voltaire: «Ich gestehe, dass es (...) Börsenspekulanten, Händler, Geschäftsleute gibt, die eine Menge Blut aus dem Volk heraussaugen, aber diese Herren sind überhaupt nicht tot, allerdings ziemlich angefault. Diese wahren Sauger wohnen nicht auf Friedhöfen, sondern in wesentlich angenehmeren Palästen», u.a. eben auch im Vatikan.
Zurück zu Jean-Claude Juncker. Stellen Sie sich vor, Sie wählen einen Drogendealer, um das Netz des illegalen Drogenmarktes zu «reformieren». Wer nun einwendet, Luxemburg hätte nichts Illegales getan, sondern sich im Rahmen der europäischen Finanzordnung völlig gesetzlich verhalten, beweist, wie sehr er lieber «glaubt» statt gestaltet. Eine Demokratie braucht aber keinen Glauben, sondern ist eine Staatsform, die seit der Aufklärung gemäss den Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Solidarität immer wieder auf Verwirklichung pocht. In Brüssel und Strassburg wird sie aber gerne wieder und wieder getötet. Dass die neue Europäische Kommission inklusive Parlament sich nicht um Demokratie, sondern um die Bewahrung der Besitzstandsverhältnisse kümmert, ist in diesen Tagen sonnenklar geworden.
Völlig in einem grosskoalitären Denken verhaftet, wird Jean-Claude Juncker auch von den Grünen und den Sozialdemokraten als «alternativlos» gestützt. Egal, welche Milliarden unter seiner Regierungsverantwortung in Luxemburg den deutschen Kindergärten, der griechischen Gesundheitsfürsorge und dem spanischen Bildungssystem gestohlen wurden. Wenn sogar die AfD-Abgeordneten schriftlich erklären müssen: «Alle werden für den Misstrauensantrag stimmen, weil Herr Juncker sich weigert, die politische Verantwortung für das von seiner Regierung betriebene steuerliche Raubrittertum zu übernehmen», dann fragt sich jede aufmerksame Demokratin, welch seltsamen Politikverständnis eigentlich die von ihr gewählten linken, grünen und progressiven Abgeordneten huldigen. «Rechtsradikale und Rechtspopulisten» dürften, laut Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) «kein Erfolg gegönnt werden.» Tja. Klar doch, finde ich auch. Aber wenn sie - wie ein blindes Huhn, das eben auch mal ein Korn findet - völlig legitime Anliegen in die politische Debatte bringen? Legitimiert das Investitionspaket von 300 Mrd. Euro, das leider wohl wieder in die korrupten Taschen der regionalen und nationalen Autoritäten in den Mitgliedsländern verschwinden wird, tatsächlich, wie dies die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Gianni Pittella meinte, das uneingeschränkte Vertrauen aller europäischen Sozialdemokraten ausgerechnet in Jean-Claude Juncker?
Jean-Claude Juncker meinte während der Debatte: «Ich bin kein Freund des Grosskapitals.» Papst Franziskus sagte: «Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem grossen Friedhof wird.»
Kluge, wichtige Worte. Doch wie meinte schon Molière: «Ich lebe von guter Suppe und nicht von schöner Rede.» Vom Theater verstehen Franziskus und Juncker viel, doch vom demokratischen Handeln ebenso wenig wie das ihnen huldigende unkritische Publikum...und zu fressen haben werden mit solchen potenten Grossvätern die Enkel sicher nichts, im Gegenteil: Sie sind das frische Blut, das die Greise wieder und wieder saugen...(für Insider hier ein kleiner Gruss an Karl Marx). Gibt es noch Rettung? Klar doch: Grossmütter vor...