Patrik Etschmayer / Quelle: news.ch / Dienstag, 21. April 2015 / 15:47 h
257 Prozesse, 32 Todesurteile, 14 davon vollstreckt. Und wie viele Jahre Gefängnis aus dieser Pfuscherei resultiert haben, es lässt sich nicht mal wirklich abschätzen. Und das alles, weil das FBI an dem Tatort gefundene Haare den Verdächtigen zugeordnet hat, obwohl diese Methode gar nicht tauglich ist, Personen eindeutig zu identifizieren.
Da diese auf optischen Übereinstimmungen basierende Haaranalyse sehr grosse Interpretationsfreiräume zulässt, kommt es meist weniger auf das Haar selbst als darauf an, was der angebliche Spezialist zu dem Haar meint. Und meistens meinten die «Spezialisten», dass die Angeklagten schuldig seien, obwohl die Methode gar nicht tauglich war, um eine solche Aussage zu treffen. Vor allem, weil sie in etwa so wissenschaftlich wie Phrenologie und Kaffeesatzlesen ist.
Hier zeigt sich das grosse Problem der Forensik. Sie ist an sich keine Wissenschaft - sie sollte lediglich auf wissenschaftlichen Methoden basieren, die korrekt und nach solchen Grundsätzen angewendet werden. Methoden müssen dabei immer wieder hinterfragt und im Zweifelsfall als untauglich eliminiert werden - wie eben Haarvergleiche. Dass dies vor allem Wunschdenken, aber nicht Realität ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der FBI-Forensik-Skandal, der nun in aller Munde ist, lediglich die Spitze des Eisberges schlechter Forensik ist, welcher das ganze US-Justiz-System an und für sich leckschlagen liess.
In den letzten Jahren wurden ganze Labore geschlossen, weil weder die Räumlichkeiten noch die Ausrüstung irgendwelchen wissenschaftlichen Standards genügten (es fehlten zum Beispiel sterile Bereiche, die für DNA-Analysen unentbehrlich sind).
Menschliches Haar unter dem Mikroskop: Für die Identifizierung eines Straftäters total ungeeignet und vom FBI jahrzehntelang benutzt. /


Laboranten wurden der Fälschung von Resultaten überführt, andere Labortechniker verfügten nicht über die Qualifikationen, die von Ihnen gemachten Tests durchzuführen oder gar zu beurteilen.
Noch problematischer wird es, wenn man erfährt, dass in vielen US-Staaten Labore NUR bei einer Verurteilung des Angeklagten Geld für ihre Arbeit bekommen. In Florida und North Carolina ist dies ausdrücklich so in den Verordnungen festgehalten. In Alabama, Arizona, Kalifornien, Missouri, Wisconsin, Tennessee, New Mexico, Kentucky, New Jersey und Virginia gelten ähnliche Vorschriften.
Wenn dies nicht schon genug Grund für die Forensiker wäre, die Resultate im Zweifelsfall (und wann immer sich Gelegenheit ergibt) gegen den Angeklagten auszulegen, gibt es noch einen weiteren sehr guten Grund für den Bias gegen die Beschuldigten: viele Labore sind direkt an die Polizeibehörden angeschlossen und wer wirft seinen Kollegen denn schon gerne Knüppel zwischen die Beine und verdirbt deren Fahndungserfolge?
Eben. Wenn wissenschaftliche Methoden unwissenschaftlich mit unredlichen Zielen angewandt werden, verwandelt sich die beste Methode Erkenntnis zu gewinnen in eine Methode, Erkenntnis zu verhindern und Lüge und Unrecht auf die tönernen Beine das Pseudowissens zu stellen, mit dem sich - in diesem Fall - Unschuldige verurteilen und Erfolgsstatistiken der Polizeibehörden schönfärben lassen.
Dieser Skandal macht extrem anschaulich, was mit der Wissenschaft immer wieder passiert: Die Instrumentalisierung ihrer Methoden zum Etablieren falscher Pseudorealitäten, bestimmt durch Interessengruppen und ihre Geldgeber. Denn was als offensichtlicher Missbrauch in den amerikanischen Forensiklabors stattfindet und nun zumindest zum Teil aufgearbeitet wird, findet auch an vielen Universitäten und Laboren statt, in denen die Sicherheit von Lebensmittelzusätzen, Pestiziden und Medikamenten überprüft wird. Viele dieser Labore sind unterdessen in ihrer Finanzierung abhängig von genau jenen Firmen, deren neue Produkte, von denen vielfach enorme Gewinne abhängen und in die grosse Summen investiert worden sind, durch sie überprüft werden sollen. In einem solchen Setting die Hand zu beissen, die einen füttert, ist bestimmt nicht einfach. Und alleine das Bewusstsein einer solchen Abhängigkeit kann selbst bei gewissenhaften Forschern dazu führen, die Resultate eher zugunsten der Geldgeber zu interpretieren.
Die zunehmende und vielfach als segensreich vermittelte Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft kann so für uns ebenso gefährlich - wenn auch wesentlich weniger offensichtlich und viel subtiler - werden, wie die Verbindung der amerikanischen Kriminallabore mit den dortigen Polizeibehörden.
Und wenn erst einmal eine solche Geschichte losbricht - wie die Schädlichkeit der Pestizide aus der Klasse der Neonikotinoide für Honigbienen oder die Arzneimittelskandale um die Medikamente Vioxx oder Mediator - nimmt auch das Vertrauen in die Wissenschaft schaden und somit jenes in die einzige taugliche Methode, aus einer immer komplexeren und vernetzteren Welt die Realität zu Erforschen.
Den FBI-Forensik-Skandal auf den Slogan «CSI is a lie!» herunter zu reduzieren ist eine fahrlässige und vermutlich erwünschte Simplifizierung dieser empörenden Vorgänge. Denn diese Dinge stehen für die Tatsache, dass die erst vor etwas mehr als 150 Jahren gewonnene Deutungshoheit über die Realität, die eigentlich jedem offen gestanden hatte, der forschen wollte, wieder im Begriff ist, durch Täuschung, Abhängigkeiten und finanziellem Druck zurück an die Eliten und die Scharlatane zu gehen. Zum Schaden von (fast) allen.
P.S.: Auch nicht zu vergessen: Nur andere Wissenschaftler waren in der Lage, diese Skandale überhaupt aufzudecken und Unschuldige - vielfach gegen den Widerstand von Justiz und Politik - zu entlasten und aus Gefängnis- und Todeszellen zu holen.