Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 29. Juli 2015 / 17:58 h
Die Dummheit nationaler Kategorien ist leider auch ihre Stärke. «Die Deutschen sterben aus» titelte unlängst der Boulevard. Dabei sterben (manchmal ist man angesichts der Griechenlandpolitik fast geneigt, «leider» zu schreiben) die Deutschen mitnichten aus, sie sehen einfach nur anders aus.
Dass SRF den Polittalk mit: «Was ist ein guter Schweizer?» betitelt, weist in eine ähnlich dumme Richtung. Denn an dieser Frage ist alles falsch. Der Schweizer sowieso, denn, mit Verlaub, was ist mit den Schweizerinnen - oder hab ich etwa verpasst, dass SRF das Wahl- und Stimmrecht für Frauen wieder abgeschafft hat?- und die Kategorie «gut». Gut ist kein Mensch, er oder sie können höchstens gut sein im Sinne von «menschlich handeln». Denn man könnte mit Fug und Recht behaupten, dass ein «guter» Schweizer 1941 Flüchtlinge denunzierte. Ein «guter» Schweizer war auch der Beamte, der bei der jüdischen Gemeinde Abertausende von Franken für jeden jüdischen Menschen, der über die Grenze kam, eintrieb. Ein «guter» Schweizer war auch der, der das Verdingmeitschi auf seinem Hof brutal vergewaltigte. Dies natürlich nur, wenn man «gut» als staatskonform, mehrheitsfähig und der politischen Kultur entsprechend definiert - was SRF gestern übrigens mit dem Titel der Sendung und dem Talkansatz tat.
Wenn man natürlich «gut» mit ethisch verantwortlichen Handeln gleichsetzt, dann sieht es für die Schweiz gerade für den erwähnten - und wohl auch den heutigen - Zeitraum sehr bitter aus.
Die nationalen Formalisierungen im Zeitalter globaler Kommunikation ist nicht nur intellektuell ein Unding, sondern vor allem auch politisch. Es gibt keine Schweiz. Es gibt höchstens einen Rechtsraum, einen Verkehrsraum, einen politischen Raum, der gewisse, ja klar, auch gute (im Sinne von verantwortlich, partizipativ, solidarisch) Eigenschaften aufweist. Wer mit Kategorien wie «Schweizern», «Griechen», «Deutschen» politisch jongliert, erinnert an einen Hausarzt, der Leberwerte von der Haarlänge (pech Glatzkopf!) zu bestimmen sucht.
Die Kategorie «Schweiz» und «Schweizer» - mal abgesehen davon, dass SRF nun echt immer und überall die Norm Mann propagiert - entspricht der Formalisierung politischer Ideologie.
Wenn man so tut als ginge es um «Schweiz», «Deutschland», «USA» oder «Griechenland» entpolitisiert man bewusst Macht, Herrschaft und beispielsweise auch den Freihandel.
Schweizer Kreuz nach dem Geschmack von SRF? /

So muss man auch nicht über die innere Kolonialisierung der entsprechenden Länder sprechen.
Statt: «Was ist ein guter Schweizer?» hätte SRF fragen können: «Was ist eine gute schweizerische Freihandelspolitik?» oder «Gibt es eine gute schweizerische Rüstungsindustrie?» oder «Wie illegal sind Patrioten?» oder auch «Schweizerfranken: Blutgeld, Bankenöl oder Wirtschaftsmotor?».
Es gibt bei SRF so viele gute Redakteurinnen und Redakteure. Es sei ihnen hier doch mal gewünscht, den Mut zum Weiterdenken aufzubringen. Angesichts der Hierarchie der SRG ist es jedoch verständlich, dass sich dies Keine und Keiner mehr wagt oder leisten kann (auch der ehemalige SRG-Kritiker erster Güte, Roger Schawinski, ist ja mittlerweile leider auch zum Hofjournalisten von de Wecks Gnaden mutiert). Deshalb leisten sich die SRF-Spitzenleute extra immer wieder «Die Geschichte der Schweizer» oder «Die besten Schweizer» oder eben «Was ist ein guter Schweizer?» - eine tolle Ohrfeige an ihre Kritikerinnen, die sie damit nicht nur ärgern, sondern explizit auch in einer Fernseh-Omnipotenz demütigen (siehe alle Klagen bezüglich Frauendiskriminierung bei SRF, die völlig ins Leere verlaufen). Tatsächlich können sich diese «guten Schweizer» alles leisten. Vor allem die Huldigung unendlich patridiotischen Blödkategorien mit den entsprechenden Sendetiteln.
In denselben Rahmen fällt auch die «lustige» Doku von SRF, den Geschlechtsteilen in den Kantonswappen auf die Spur zu kommen.
Selbst als Satire ist dies machtpolitischer Herrschaftssprech und beinhaltet keinen Millimeter an Kritik, was somit auch den Begriff der Satire obsolet macht. «Wenn Penisse sprechen, verstummt die Demokratie» meinte ich in ähnlichem Zusammenhang verfehlter SRF-Polittalkpolitik anlässlich der Geri Müller-Affäre vor einem Jahr. Denn statt sich über die warme Luft nationaler Eigenschaften auszulassen, hätte der Club unbedingt den Kauf bürgerrechtswidriger Sicherheitssoftware thematisieren sollen. Doch offensichtlich war auch dies nicht opportun.
Quintessenz deshalb: Wer Demokratie zum Lifestyle einer Nation degradiert, ist keine vierte Gewalt, sondern betreibt ziemlich üblen Hofjournalismus am Tropf der Regierung.
PS: Die Autorin hat 1991 ihr Politologiestudium mit einer grossangelegten Nationalfondsstudie «Politische Kultur im Wandel» abgeschlossen. Schon damals stellte sie fest, dass der Versuch, nationale Eigenschaften oder überhaupt die politische Kultur eines Landes zu erfassen, mit Max Kaase nur als «Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln» gleichkam. Mit Schrecken stellt sie nun fest: Die Mainstreammedien machen fast nichts mehr anderes, als Puddinge an die Wand zu nageln.