Jürg Zentner / Quelle: news.ch / Montag, 24. August 2015 / 17:30 h
Am kommenden Samstag feiert auch der letzte Kanton Fasnacht. Seit nunmehr 23 Jahren findet das Technofest in Zürich statt. Wohl kein anderer Event ist bei der City-Bevölkerung und den Gewerbetreibenden unbeliebter - mal abgesehen von der Nachdemo am 1. Mai.
Die meisten Stadtzürcher finden die Megaparty peinlich und flüchten aus der Stadt, um den aufgekratzten Agglos aus dem Weg zu gehen, die wie Heuschrecken übers Seebecken herfallen. Die Boutiquen und Bijouterien im Kreis 1 machen weniger Umsatz, weil die Stammkundschaft die Streetparade meidet. Und auch die Gastro-Betriebe in der Innenstadt haben nur wenig von der nachmittäglichen Sause - ausser Schlangen vor dem Klo, für deren Benützung Nicht-Gäste 5 Franken bezahlen müssen.
Während vor 15 Jahren ganz Zürich aus dem Häuschen war und jede Boutique einen eigenen DJ organisierte und die alten Gassen des Niederdorfs nach Urin und Fäkalien stanken als sei man in Alt-Delhi, ist die Parade heute nur noch ein organisierter Anlass von vielen. Sogar das Limmat-Schwimmen lockt mehr Einheimische an.
Der Glanz ist seit langem ab, der Mythos längst verblasst. Nach bald 25 Jahren ist die Parade an Biederkeit kaum mehr zu überbieten. Wer die Streetparade nicht mit den verklärten Augen einer Kindergärtnerin aus Oberengstringen oder einer Ringier-Partyfüdli Praktikantin sieht, wird am Samstag keine Spur von ausgelassener Feierei, Ekstase oder Liebe finden. Stattdessen ist die Streetparade heute ein seltsamer Zirkus, der ähnlich wie die Musik auf einen Höhepunkt wartet, der nie kommt.
Warum hat sich die Streetparade nicht weiterentwickelt? Wer hindert die Organisatoren daran, aus der Parade ein tolles Musik-Festival zu machen, das musikalisch nicht so eingeschränkt ist? Die immer gleiche Stampfmusik ist so ewiggestrig wie die Märsche am Sechseläuten.
Ein Raver, viele Fragen. /


Kein Wunder kommen jährlich weniger Leute, auch wenn die Veranstalter stets behaupten, der Anlass ziehe rund eine Million Besucher nach Zürich.
Zürich ist an der Streetparade so zwinglianisch wie seit 100 Jahren nicht mehr. An jedem Spaghettiplausch geht's lustiger zu. Auf der ganzen Route stehen nur gelangweilt Leute rum, die den Umzug beobachten, obwohl es gar nichts zu sehen gibt. Dazwischen gibt's diejenigen, die es immer und überall gibt: aufgedrehte Büro-Mäuse, hysterische Zumba-Mamis und aufmerksamgeile Kostümjoggel, die für die Presse die Zunge rausstrecken und mit den Fingern komische Gesten machen, für die sie sich später mal schämen werden - oder auch nicht.
Vielleicht liegt es an den Ringier-Medien, die aus der Streetparade eine Art Volksfest für Junggebliebene machten, einen «Crazy Day» für Angepasste. Es ist als ob die Streetparade den richtigen Zeitpunkt verpasste, die Party zu verlassen. Es ist das Festhalten eines Mythos' einer glorifizierten Zeit.
Techno ist längst keine Jugendkultur mehr sondern gehört nach einem Viertel-Jahrhundert ins Oldies-Fach. Techno war schon an der ersten Streetparade im Jahr 1992 keine Musik-Revolution mehr. Der Remix «Das Boot» von U-96 stand damals auf Platz 1 der offiziellen Schweizer Hitparade und in Berlin wurde schon seit 1989 an der Loveparade zum Motto Friede, Freude, Eierkuchen getanzt.
Damals noch mit Trillerpfeifen und Baustellen-Helme, stammt das Streetparade-Outfit heute vor allem aus dem Fitness-Studio. Obwohl der Baustellen-Helm wieder passen würde, musste die Parade dieses Jahr wegen der Bellevue-Baustelle um ein paar Wochen verschoben werden. Es hätte ein Zeichen sein müssen; ein Zeichen aufzuhören.