Reta Caspar / Quelle: news.ch / Donnerstag, 24. März 2016 / 08:21 h
Ein hübsches Beispiel ist der Polderturm in der niederländischen Stadt Emmeloord, der Hauptstadt der Provinz Flevoland, die durch die Trockenlegung eines Teils des Ijsselmeers entstanden ist.
In einem frühen Stadium der Planung wurde beschossen, dass diese Stadt einen zentralen Platz erhalten sollte mit einem hohen Turm als weit sichtbares Wahrzeichen. Anders als in den historisch gewachsenen Dörfern und Städten rundherum sollte der Turm aber kein Kirchturm sein, weil es in der Region mehrere christliche Konfessionen gab und keine die andere dominieren sollte.
Entstanden ist 1959 ein 65 Meter hoher, achteckiger Turm, welcher als Wasserturm diente und als Symbol für die Einheit der neu aus dem Boden gestampften Provinz stand. Er wurde ausgestattet mit einer Aussichtsplattform und einem Glockenspiel mit 48 Glocken, in die neben den Namen der neuen Poldergemeinden und der Königin auch gemeinschaftliche Begriffe wie Arbeit, Einheit, Frieden, Dialog und Vernunft eingraviert wurden.
Nun könne man einwenden, dass hier eine neue Provinz entstanden sei und nicht etwas Traditionelles durch etwas Neues ersetzt. Ja und Nein.
Polderturm in Emmeloord: Areligiöses Symbol der gemeinschaftlichen Werte. /


Es wurden einen Küste mit vielen Fischerdörfer aufgegeben und eine neue Agrarlandschaft errichtet. Man musste also alte Stätten und auch Kirchen aufgeben, um neue, zukunftsweisende Lebensstrukturen aufzubauen.
1950 gab es in den Niederlanden erst knapp (aber immerhin) 20 Prozent Konfessionsfreie. Der Entscheid, in Emmeloord keine Kirche ins Zentrum zu stellen, war also nicht eine Konzession an die Konfessionsfreien oder andere Religionen, sondern eine Lösung in einer konfessionell gemischten Gesellschaft, die sich auch für die heutige, nachchristliche Gesellschaft eignet.
Die neuesten Ergebnisse der Langzeitstudie «God in Nederland» zeigen klar: Die Niederlande sind kein christliches Land mehr. 68 Prozent der Menschen fühlen sich keiner Religion mehr zugehörig und nur noch 14 Prozent glauben an einen persönlichen Gott.
Auffallend, dass in den letzten zehn Jahren auch der Anteil der «Ietsisten» - jener Menschen, die an «irgendetwas Höheres» glauben - von 36 auf 28 Prozent zurückgegangen, und der Anteil jener, die sich als «spirituell» bezeichnen, von 40 auf 30 Prozent gefallen ist.
Erfreulich aber vor allem, dass in den letzten zehn Jahren der Anteil jener Menschen, die befürchten, dass mit dem Schwund der Religion auch die Moral gefährdet sei, von 40 auf 26 Prozent zurückgegangen ist.
Emmeloord hat's vorgemacht: Im räumlichen und sozialen Zentrum der Gesellschaft steht nicht mehr eine Kirche, sondern ein Platz mit einem Wahrzeichen für die gemeinsamen Werte. Kirchen haben immer noch ihren Platz in dieser Gesellschaft, aber sie dominieren sie nicht mehr.
Während die meisten Schweizerinnen zu den Kirchen ein distanziertes Verhältnis haben und das Schweizerkreuz trotz seiner christlichen Wurzeln längst als säkulares, einendes Symbol wahrnehmen, versuchen in jüngster Zeit religiöse und nationalkonservative Kreise das Land über das Kreuz in der Flagge wieder in den christlichen Griff zu kriegen.
Wo aber Symbole nur noch der Regression und dem nationalistischen Mythos dienen und nicht der Einigung der Menschen, da schaden sie dem Gemeinwohl und werden besser ersetzt.