fest / Quelle: pd / Mittwoch, 7. Juni 2023 / 14:09 h
Ihre künstlerische Ausdruckskraft ist vergleichbar mit derjenigen des modernistischen Schweizer Fotografen Jakob Tuggener (1904-1988), doch ist ihr Name vor allem in der Deutschschweiz noch relativ unbekannt.
Der fotografische Nachlass Grindats befindet sich in der Fotostiftung Schweiz, wo er umfassend erforscht und 2008 in einer retrospektiven Ausstellung mit begleitender Publikation präsentiert wurde. Am 3. Juli 2023 wäre Henriette Grindat 100 Jahre alt geworden. Die Fotostiftung Schweiz nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, eine wichtige Zusammenarbeit der Fotografin mit den Dichtern Albert Camus und René Char zu beleuchten.
Nach ihrer Ausbildung an der Gertrude Fehr Schule für Fotografie in Lausanne und Vevey suchte Henriette Grindat den Austausch mit Künstlern und Schriftstellern, unter anderem in Paris. Dort lernte sie 1949 ihren zukünftigen Ehemann, den Schweizer Graveur Albert-Edgar Yersin (1905-1984), kennen und machte Bekanntschaft mit dem französischen Dichter René Char (1907-1988), dessen Texte sie bewunderte. Char war in den 1930er Jahren mit den Surrealisten verbunden und kämpfte während des Zweiten Weltkriegs als Widerstandskämpfer im Maquis. Die Erfahrungen der Résistance teilte er mit dem Schriftsteller Albert Camus (1913-1960). Ab 1946 entwickelte sich zwischen den beiden Dichtern eine Freundschaft und eine Liebe zur Region Vaucluse in der Provence. Char stammte aus L'Isle-sur-la-Sorgue, einer Stadt östlich von Avignon, wo er nach dem Krieg einen Wohnsitz hatte, während Camus vorübergehend ein Landhaus in der Gegend mietete.
La Postérité du soleil
Beeindruckt von Grindats Bildern entstand die Idee, die Atmosphäre dieser Landschaft, die Camus offenbar an seine algerische Heimat erinnerte, in Fotografien und Texten festzuhalten.
Henriette Grindat, Peupliers et tournesols, route de Velleron, Frankreich, 1951. /


1950 begibt sich Henriette Grindat in Begleitung von Char auf Erkundungstour in und um L'Isle-sur-la-Sorgue. Sie fotografierte intuitiv, erkundete die Oberflächen der Vegetation, der Topografie und der Architektur und entdeckte stille Szenen, die von Zeit und Ort losgelöst schienen. 1952 schrieb Camus zu 30 ihrer Fotografien kurze poetische Absätze, die die feinsten Details wiedergeben. Das Zusammenspiel zwischen den Bildern und der Sprache ist aussergewöhnlich: Die Sprache geht aus den Bildern hervor und erschliesst ihnen eine neue Dimension. Für dieses Gemeinschaftswerk mit dem Titel La Postérité du soleil (Die Nachkommen der Sonne) konnte jedoch zunächst kein Verleger gefunden werden. Erst nach dem Tod von Camus im Jahr 1960 erwachte das Interesse an dem unveröffentlichten Werk. 1965 brachte der Genfer Verleger Edwin Engelberts eine grossformatige Mappe mit Silbergelatineabzügen von Grindats Fotografien, Camus' Texten und einem Vorwort von Char heraus. Die Buchversion von La Postérité du soleil wurde erst 1986 veröffentlicht, dem Jahr, in dem Henriette Grindat sich das Leben nahm, und zwei Jahre vor René Chars Tod.
In der Ausstellung sind die Blätter des Portfolios von 1965 zu sehen. Die dazugehörigen französischen Originaltexte von Albert Camus wurden für die Ausstellung erstmals umfassend auf deutsch übersetzt.
Henriette Grindat / Albert Camus / René Char - La Postérité du soleil
8. Juni 2023 bis 6. August 2023
Fotostiftung Schweiz
Grüzenstrasse 45
CH-8400 Winterthur
+41 52 234 10 30
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