Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 24. Februar 2010 / 09:21 h
Der Artikel über die negative Weltpresse unter dem Titel: „Das Ende der Schweiz“ bescherte den unzähligen Tamedia-Onlineportalen über 300 Kommentare, meist verletzt, meist empört, manchmal zustimmend, aber immer im «Wir-Reflex».
Wie kommt es, dass intelligente Menschen sich von Kollektiven, von Kategorien, von sogenannten Norm-Betitelungen so schnell aus der Fassung bringen lassen? Das ist genauso doof, wie der Umstand, dass auf meinen Deutschlandtourneen die anwesenden Menschen mich gerne mit «ach, wie süss, ein Schweizerdialekt» begrüssen. Schon nach fünf Minuten merken die Meisten, dass ich hochdeutsch alpenmässig zwar wirklich nicht noch höher kann, dafür aber alles andere als «süss» bin. Und wirklich viel Denkbares zu mir passt, ausser das in der Globalisierung ziemlich dümmliche nationalistische Attribut «Schweizerin». Als Intellektuelle in Brüssel fährt es mir total schräg ein und ich wehre mich, wenn es jemanden – was leider viel zu oft passiert – in den Sinn kommt, mich vor allem als „Swiss“ vorzustellen. Was soll denn das? Ist Habermas in erster Linie deutsch und nichts sonst?
Wenn Simon Ammann gewinnt, schreie ich dann: «Yeah, wir haben gewonnen?» Seid Ihr denn alle bescheuert? Erstens entsorge ich die Olympischen Spiele unter «Religion des Materialismus» oder à la Brot und Spiele unter Nero. Ok, das ist mein persönliches Ding, aber ich denke, ich bin da nicht mal mehr ganz allein. Zweitens: Ja, klar. Ich bin unter anderem auch Schweizerin. Aber eben: Unter anderem. Daneben bin ich ganz Viele mehr. Mein Schweizsein dominiert nicht mein Denken, mein Schreiben, mein Handeln, mein Fühlen – das wäre ja noch schöner!
Diese völlig falschen Kategorien vergiften die Politik und die Menschen. Es ist genau diese Unterscheidungslosigkeit, die so unendlich banal und böse ist. «Muslime in der Schweiz» – echt, da kriege ich Bibelis (für unsere deutschen Leser: Pickel und Mitesser – Anm.d.Red.). Hier werden Identität und Repräsentativität vermischt. «Griechenland in der Krise» ist ein anderes Beispiel dafür.
Regula Stämpfli /


Da wird mit der Nationalisierung eines gravierenden Problems der internationalen Finanzmärkte der Blick auf echte politische Zusammenhänge völlig verwischt. Nicht «Griechenland», das es so nicht gibt, ist «in der Krise», sondern Goldman Sachs und damit die Finanzvasallen der Wallstreet, die Europäische Zentralbank sowie die Europäische Kommission sind die Krise! Doch selbstverständlich sagt dies aus Macht-und Besitzgründen niemand – und schon gar nicht die Wirtschaftsjournalisten. Deshalb schreiben sie dann: «Die EU stützt Griechenland» (in Wirklichkeit stützten Merkel und Co. mit der Europäischen Zentralbank zunächst die Deutsche Bank, dann die schweizerische UBS, dann Goldman Sachs, damit das US-amerikanische Finanzsystem und damit schliesslich die kommunistische Diktatur Chinas – capice?).
Da die Machthabenden daran interessiert sind, die Sprache auf Kindergartenniveau und die Zins- sowie die Wirtschaftspolitik korrupt neoliberal zu halten, starren uns dann solche verblödenden und entpolitisierenden Titelstories aus allen Zeitungen entgegen. Solche herrschende Zeitgeistsprache konstruiert perfekt Antidemokratie. Sprache ist Macht – schon mal davon gehört? So.
Zurück zum «Ende der Schweiz». «Meine Schweiz» ist sauber, witzig, humorvoll, übt am meisten und gerne kluge Selbstkritik, ist laut, macht unendlich schöne Musik, hat die wunderbarste Natur der Welt, lebt voller unterschiedlichen und genialen Menschen, die gerade wegen ihrem Nicht-Wirklich-Typisch-Schweiz-Sein so unvergesslich und heimatlich sind. Meine Schweiz existiert vor allem im Plural! Es gibt kein totalitäres Gleichmacheretikett von «die Schweiz» – es sei denn auf Google Earth, wo «die Schweiz» uns als geografisches Scheibenbild entgegenstarrt. «Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg» ist auch völlig unpräzis, vor allem wenn es um «die Schuld der Schweiz» geht. Denn das war nicht «die Schweiz», sondern bezüglich Flüchtlingspolitik beispielsweise in erster Line ein BGB-Bundesrat von Steiger (Vorläufer der SVP). Sie sehen: Mit falschen Kategorien kann man vorzüglich antidemokratische, d.h. falsche Politik unterstützen! Also. Bitte genau bleiben. Sorgfältig.
Deshalb: Wenn vom «Ende der Schweiz» gequasselt wird, dann gilt es «Halt!» zu rufen. Und hey ja: Wehren Sie sich endlich mit mir gegen solch verblödete Kollektive, die nur dazu dienen, Klischees so zu stereotypisieren, dass Menschen ausgegrenzt und Politik eigentlich entpolitisiert werden sollen! Aber bitte das nächste Mal nicht so empfindlich. Wie gesagt: Nur unsichere Menschen nehmen die ganze Welt persönlich. Und das ist nicht «gesunder Nationalstolz» (sowieso ein Oxymoron), sondern nur noch pathologisch.