von Regula Stämpfli / Quelle: news.ch / Mittwoch, 1. September 2010 / 09:33 h
Der mediale Metabolismus erzeugt so unglaubliche Blähungen in der deutschen Demokratie. Und selbstverständlich auch in der schweizerischen, die ja polithormonell mit der deutschen Befindlichkeit eng verknüpft ist.
So.
Falls Sie bis hierhin ganz vergnüglich oder missmutig oder gelangweilt gelesen haben, ohne zumindest erstaunt Ihre Augenbrauen zu heben, ist mein Experiment geglückt. Die ersten Sätze dieser Kolumne bedienen sich einer
bio-logischen
Bildersprache, die in Sarrazins Buch und Thesen sowie in den Berichten mittlerweile selbstverständlich sind. Die so selbstverständlich sind, dass sie den Boden für politisch völlig irrelevante Thesen wie Sarrazins «jüdisches» und «muslimisches» Gen bereiten. Sarrazin sortiert das Menschenmaterial nach kollektiven Merkmalen in einer bio-logischen Sprache, die mittlerweile alle sprechen. Nicht nur das. Sarrazin verwandelt, wie der kluge Thomas Steinfeld in der Süddeutschen dies richtig schreibt, «das deutsche Volk in eine Human Resource.» Sarrazin ist je nicht einfach ein hohler Dummkopf wie die meisten rechtspopulistischen Schwätzer und ihre linkskulturell verblödeten Gegner.
Das biologistisch Kredo von Thilo Sarrazin: Entweder nützlich sein, oder aus- und abschaffen /


Als Vorstand der deutschen Bundesbank denkt Sarrazin volkswirtschaftlich, unternehmerisch und liebt die rationalen Naturwissenschaften.
Nützlichkeit, Brauchbarkeit, Produktivität der Wirtschaft verknüpfen sich bei Sarrazin mit der Polit-Bildersprache aus den Naturwissenschaften. Und alle nicken oder schreien empört auf. Dabei sind nicht die antimuslimischen Tendenzen Sarrazins der eigentliche Stein des Anstosses, sondern die Selbstverständlichkeit eines Gedankengebäudes, das jeden, der nicht zu Gewinn und Vorteil der Volksgemeinschaft beiträgt, zu den Überflüssigen zählt, der ab- oder ausgeschafft werden sollte.
Der schon fast monströse Erfolg, den Sarrazin mit seiner Bio-Warensprache erzeugt, belegt wie biopolitisch und demokratiefeindlich die wichtigsten Diskurse und politischen Rezepte in unseren westlichen Gesellschaften geworden sind. Dabei ist etwas klar: Sarrazins Kopftuchmädchen sind keine Frage von Biologie oder volkswirtschaftlicher Fehlinvestition, sondern Ausdruck verfehlter Politik. Globalisierung und Islamisierung sind die zwei Seiten derselben Medaille, die dank Sprache, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft als postmodernes Programm zur «Entmündigung des Menschen» geformt ist. Wer das nicht erkennt, wird entweder zum Rassisten oder zum staatfeindlichen, naiven Toleranzprediger: Die Wahlerfolge der Rechtspopulisten und der Grünen in diversen europäischen Ländern sprechen genau diese Sprache. Denn Natur ist für die Demokratie ein ebenso schlechter Ratgeber wie die Religion.